Dienstag, 28. Februar 2006

Wochenbericht 012 (20.02.06 bis 26.02.06)

Nachdem wir vom Samstagabend bis Sonntagvormittag von "Belém" nach "São Luis" gereist waren (803 km, 15.5 h, Boa Esperança), stand am Montag die Reise von "São Luis" nach "Natal" auf dem Programm (2107 km, 31 h, Progresso). Wenn ich versuche diese Busfahrt Revue passieren zu lassen, fällt mir auf, dass ich keine Ahnung mehr habe, wie ich diese lange Zeit totschlagen konnte. Bei mir ist es meistens so, dass schon nach paar Stunden Busfahrt die Luft draussen ist. Ich habe dann keine Lust mehr zu lesen, mit meinem Nachbar zu sprechen, Musik zu hören, oder ähnliches. Man sitzt dann einfach quasi "apathisch" da, und schaut zum Fenster hinaus... eine Stunde... zwei Stunden... drei Stunden, vier Stunden............... ;-)

Naja, so schlimm ist nun doch wieder nicht. An ein paar Sachen kann ich mich schon noch erinnern.

  • Landschaft: Mitunter etwas vom Schönsten, was ich bis jetzt auf einer Busreise bezüglich Landschaft gesehen habe. Unendliche, grüne Weiten mit Unmengen von riesigen, alleinstehenden Palmen. Irgendwann änderte sich das Landschaftsbild. Trockene Steppe, welche von Zeit zu Zeit von kleinen, steinigen Gebirgszügen durchzogen wurden. Aber eben, wenn das 30 Stunden lang sieht, wird auch dies mit der Zeit langweilig... ;-) (Bild 1: Landschaftsfoto aus dem Bus heraus, irgendwo zwischen São Luis und Natal)
  • Buspassagiere: Auf solchen Busfahrten sieht man immer wieder die komischsten Zeitgenossen. Neben mir sass z.B. ein alter Mann, welcher während der ganzen Fahrt kein Wort sagte. Er schweisselte und zitterte nur vor sich hin. Den Vogel vollends abgeschossen hatte allerdings der Nachbar von Frank. Ein Russe, der noch schlimmer stank als mein Nachbar. Er sass stundenlang auf seinem Sitz und murmelte, ein Rosenkranz ähnliches Teil in seinen Hände drehend, irgendwelche "Hare Krishna-Gebete" vor sich hin. Wenn er nicht am beten war, war er am fressen. Zehn Orangen nach einem ausführlichen Mittagessen und ähnliches. Und ausserdem versuchte er den Passagieren Geld abzuknöpfen, indem er bettelte oder irgendwelche komischen Broschüren versuchte zu verkaufen. Während einer Pause kam ausserdem eine Frau in den Führerstand des Buses. Dort sang sie dann in voller Lautstärke zu der im Bus laufenden Musik, bis der Bus dann wieder weiterfuhr. Ja, so läuft das hier in den Bussen ab... ;-) (Bild 2: Singende Frau in der Bus-Führerkabine)

Irgendwann war dann einmal Mittagszeit, und wir hielten in einem kleinen Städtchen für das Mittagessen an. In diesem Städtchen herrschte eine extreme Hitze, und nur schon das Aussteigen aus dem Bus trieb einem die Schweissperlen auf die Stirn. Leider sprang der Bus nach dem Essen nicht mehr an. Es musste ein Mechaniker geholt werden, welcher den Bus dann kurzerhand mit Hilfe eines Schraubenschlüssels kurzschloss. Es hat ihm dann halt eine "geputzt", aber das wird hier anscheinend in Kauf genommen, wenn man nicht das richtige Werkzeug dabei hat... ;-) Nach einer halben Stunde Verspätung konnte die Fahrt dann wieder weiter gehen.

Irgendwie wollte die Zeit einfach nicht vorbei gehen. Die Stunden wurden immer länger. So gegen 16:00 kamen wir in "João Pessoa" an. Dort bekam ich dann fast die Krise. Als ich auf der Landkarte nachschaute, wo "João Pessoa" liegt, sah ich, dass "Natal" nördlich von "João Pessoa" lag. Mein eigentliches Ziel, "Salvador", lag aber südlich von "João Pessoa". Dies bedeutete also, dass ich die drei Stunden zwischen "João Pessoa" und "Natal" zweimal zurücklegen durfte, und somit sechs Stunden "zuviel" im Bus verbrachte... :-( Naja, wenn's nur das ist... ;-)

Schlussendlich erreichten wir dann um 19:00 "Natal", wo wir nach einem längeren Kampf mit den öffentlichen Telefonen Hardy, ein Schulfreund von Frank, anriefen. Er kam uns am Bus-Terminal mit dem Auto abholen.

Hardy ist in den USA in den 90er mit einem Granitgeschäft zu Geld gekommen, und hat sich nun mit 42 in Brasilien zur "Ruhe" gesetzt. Ein kleines Häuschen, eine Hausangestellte, ein Auto, und viel Zeit für die Dinge, welche einem wichtig sind im Leben. Das würde mir auch noch so passen... ;-)

Nachdem wir bei ihm zu Hause waren, gab es erst einmal ein kühles Bier und eine wohltuende Dousche. Anschliessend fuhren wir mit dem Auto zur Strandpromenade. Dort wimmelte es nur so von internationalen Badetouristen und den dieselben bedienenden Nutten. Wir tranken ein paar Bierchen und assen eine brasilianische Spezialität: Coração de Frango (gegrillte Hühnerherzen am Spiess)... ;-)

Nach einer herrlichen Nacht, wurden wir am Mittwoch um 07:00 von Hardy geweckt. Es stand erst einmal Körperertüchtigung am Strand auf dem Programm. Zuerst 3/4 Stunden Joggen am Strand, dann ein bisschen Schwimmen im Meer und zum Abschluss noch ein paar Liegestützen und Rumpfbeugen am Strand. Auf dem Nachhauseweg gab es noch eine kühle Kokosnuss zur Erfrischung zum trinken. Zurück im Haus von Hardy wartete dann schon das Frühstück auf uns, welches von der Hausangestellten vorbereitet worden war.

Den restlichen Tag liess ich gemütlich angehen, denn am Abend stand schon wieder die nächste Busfahrt auf dem Programm. Eine gute Eingebung hatte mich anfangs Woche veranlasst, Hardy telefonisch zu beten, mir doch schon ein Busticket von "Natal" nach "Salvador" zu besorgen. Da sehr viele Leute den Carnaval in Salvador verbringen wollen, wäre es wahrscheinlich schwer möglich gewesen, am Vortag von Carnaval-Beginn noch ein Busticket zu bekommen. Auf jeden Fall hatte sich Hardy für mich kräftig ins Zeug gelegt, und konnte mir noch eines der letzten verfügbaren Tickets besorgen.

Nach einem ausgezeichneten Mittagessen musste ich mich leider daran machen, meine Sachen wieder zusammen zu packen, und mich von meinem 12-tägigen Reisegefährte, Fank, verabschieden.

Leider war das Ticket, welches mir Hardy noch besorgen konnte, für einen wenig komfortablen Langstreckenbus nach "Natal" (1111 km, 21 h, São Gerald), weshalb die Nacht nicht gerade die angenehmste wurde. Am nächsten Morgen bekam ich dann das erste Mal das Carnaval-Feeling zu spüren. Ein paar Carnaval-verrückte Passagiere fingen hinten im Bus an, die WC-Kabine als Perkussionskörper zu benutzen. Mit Trommel- und Paukenschlägern hämmerten sie drei Stunden lang auf die Kabine ein und sangen dazu Carnaval-Lieder. Naja, war ja am Anfang ganz lustig, aber nach einer Stunde fing es dann doch an, kräftig auf die Nerven zu gehen...

Am Donnerstag um13:00 kam ich dann in "Salvador da Bahia" an. Somit hatte ich in 5.5 Tagen 4021 km im Bus zurückgelegt (67.5 h). Dies ist natürlich nicht gerade meine präferierte Art zu reisen. Da ich aber zuviel Zeit in Kolumbien und Venezuela verbracht hatte, musste ich wegen dem Carnaval ein wenig Gas geben. Und ausserdem ist Brasilien so ein grosses Land, dass man halt leider von Zeit zu Zeit mit solchen Busfahrten rechnen muss... :-(

Als ich in "Salvador" in der Jugendherberge "Albergue das Laranjeiras" ankam, war ich zuerst einmal ganz kräftig angepisst. Das hatte folgende Gründe.

Ursprünglich wollte ich Carnaval ja in "Rio de Janeiro" verbringen. Verschiedene Brasilianer und sonstige Reisende, welche ich in Kolumbien und Venezuela antraff, hatten mir empfohlen, den Carnaval nicht in Rio zu feiern, weil der Carnaval dort sehr kommerziell sei. Er würde vorwiegend um und im "Sambódromo" stattfinden, wo die verschieden Samba-Schulen vorbeidefilieren. Um diese Samba-Schulen zu bestaunen, braucht man ausserdem Tickets, welche nicht gerade günstig sind. Mir wurde des weiteren von allen Seiten empfohlen, wo immer ich Carnaval verbringen wollte, unbedingt ein Hotel zu resevieren. Ich hatte deshalb während meiner Zeit in Venezuela verschiedene Hotels in "Rio" per Email angeschrieben. Als ich dann so die Preise zu Gesicht bekam, hatte es mir fast den "Nuggi us em Muul ghaue". Nur schon vier Nächte hätten mich ein halbes Monatsbudget gekostet. Wegen den Distanzen und der fehlenden Zeit hätte ich dann auch noch nach "Rio" fliegen müssen, was dann wiederum bedeutet hätte, dass ich wieder zurück in den Norden hätte reisen müssen, um die nördlichen Reiseziele auch noch zu erreichen. Diese Gründe und die Tatsache, dass in "Salvador" beim Carnaval so richtig die Post abgeht, veranlasste mich in "Salvador" in der Jugendherberge "Albergue das Laranjeiras" ein Bett im "Dormetory" zu reservieren. CHF 400.00 für sieben Nächte inkl. Frühstück ist für südamerikanische Verhältnisse immer noch ein Heidengeld, und etwa fünfmal mehr als ich normalerweise für eine Übernachtung mit Frühstück bezahle. Carnaval ist halt eine ziemliche Abzocke hier in Brasilien.

So, nun aber zu den Gründe, welche mich sauer machten. Für die CHF 400.00 bekam ich ein Bett in ein einem 8-Mann-Dorm. Die Jugendherberge war ok, aber auch nicht besonders. Ich fand ausserdem heraus, dass ich auch ohne Reservation in Salvador locker ein Einzelzimmer zu einem besseren Preis hätte finden können. Naja, man lernt nie aus. Das einzige, was mich tröstete, war die Tatsache, dass andere Backpacker schon vor Monaten gebucht hatten, und 2.5 mal mehr bezahlten als ich... ;-) (Bild 3: Aussicht vom Quartier "Cidade Alta" auf das Quartier "Cidade Baixa" und den Hafen, Elevador Lacerda auf der linken Seite)

Eine andere Sache, welche mich auch nicht gerade aufbaute, war die Tatsache, dass der Carnaval in "Salvador" nicht minder kommerziell zu sein schien, als der Carnaval in "Rio". Der Haupt-Carnaval in Salvador muss man sich etwa vorstellen wie eine "Streetparade". Lastwagen mit riesigen Lautsprecheranlagen, einer Live-Band mit Sänger bzw. Sängerin und Tänzern (sog. Trioelectricos) fahren langsam durch die Menschenmassen in den Strassen. Als Carnaval-Teilnehmer kann man den Haupt-Carnaval hauptsächlich auf drei Arten feiern.

  1. Bloco: Durch den Kauf eines speziellen Bloco-T-Shirts erlangt man den Zutritt zu einem "Bloco". Ein "Bloco" ist eine durch ein Seil abgesperrte Zone, welche einen Carnaval-Lastwagen (Trioelectricos) umgibt. Ein solches T-Shirt kostet zwischen CHF 50.00 und CHF 200.00 pro Abend. Der Vorteil eines "Bloco" ist, das man ein wenig geschützter vor dem Gedrücke und den Taschendieben in den Strassen ist. (Bild 4: Bloco vor einem Trioelectrico)
  2. Camarote: Um Zutritt zu einer "Camarote" zu erlangen, muss man ebenfalls ein spezielles Camarote-T-Shirts kaufen. Eine "Camarote" ist z.B. eine Privatwohnung, eine Tribüne oder etwas ähnliches, von welchem aus man einen guten Blick auf das Treiben in den Strassen hat. Die Preise für ein solches T-Shirt bewegen sich zwischen CHF 50.00 und CHF 400.00 pro Abend, je nach Grad des "Catering-Service".
  3. Fazer pipoca: "Fazer pipoca" bedeutet "Popcorn sein". D.h. dass man den Carnaval einfach ganz normal in der Strasse feiert. Alle, die nicht genug Geld für die teuren T-Shirts haben, feiern Carnaval so. Den Touristen wird geraten, auf keinen Fall so Carnaval zu feiern, weil die Menschenmenge im Tanzrausche doch ziemlich wild werden kann, und weil es viele Taschendiebe gibt. (Bild 5: Popcorn)

Der Haupt-Carnaval findet auf drei verschiedenen Routen statt:

  • Circuito Osmar (Campo Grande - Avenida): in den Strassenschluchten von Salvador
  • Circuito Batatinha (Centro Histórico): im historischen Zrntrum von Salvador
  • Circuito Dodô (Barra - Ondina): entlang der Küstenstrasse von Salvador

Neben dem Haupt-Carnaval kann man noch den historischen Carnaval im alten Stadtzentrum und andere Alternativveranstaltungen (wie z.B. Rock-Konzerte ä.u.) miterleben. Der historische Carnaval erinnerte mich am meisten an die "Basler Fasnacht". Verschiedene Musikkruppen, z.T. sehr ähnlich besetzt wie eine "Basler Guggenmusig", und Tanzgruppen ziehen mit maskierten Vorläufern durch die Strassen der Altstadt. (Bild 6: Tanzgruppe im historischen Zentrum)

Am Donnerstagabend war ich im Circuito Osmar. Dies war ziemlich krass, was dort abging. Wegen den engen Strassenschluchten ist das Gedränge extrem, und der wilde Tanzstil der Carnaval-Teilnehmer führt oft zu Schlägereien. Wenn dann die omnipräsente Polizei in eine Schlägerei eingreift, wird es dann erst recht krass. Mit z.T. ein Meter langen Schlagstöcken wird dann alles, was in und um den Unruheherd herum ist, niedergeknüppelt.

Am Freiagabend war ich im Circuito Dodô, wo es ein bisschen ruhiger zuging, weil dort mehr Platz vorhanden war. Dort traff ich auch per Zufall einen Jungendfreund, Walo, von meinem Vater. Walo hatte mir per Email geschrieben, dass er in einer Camarote im Circuito Dodô wäre. Da ich den Namen der Camarote nicht wusste, habe ich einfach ein bisschen die Augen offen gehalten, ohne wirklich zu denken, jemanden, den man kennt, in dieser riesigen Menschenmasse ausmachen zu können. Aber es gibt eben doch Zufälle... ;-) (Bild 7: zwei "lustige" Carnaval-Gesellen)

Den Samstagabend verbrachte ich am traditionellen Carnaval im historischen Zentrum.

Der Leser mag sich vielleicht fragen, was am Tag denn so auf dem Programm stand. Ich kann nur sagen: ausruhen... ;-) Allerdings ist hier nicht viel mit ausschlafen. Morgens um 10:00 hat es jeweils schon 33°. Man verbringt deshalb den Tag irgendwo im Schatten und schwitzt vor sich hin. Oder man fährt zu einem der schönen, nahegelegenen Strände, was ich am Sonntag tat. Ich fuhr mit einem Bus 2.5 h zum "Praia do Flamengo". Ich traff noch einmal Walo, welcher sich am "Praia do Flamengo" eine Ferienwohnung gemietet hatte. Ich konnte ihm ein paar Sachen, welche ich nicht mehr brauchte, mit in die Schweiz zurückgeben.

Am Sonntag ging ich das erste Mal alleine an den Carnaval (Circuito Osmar). Irgendwann stand ich dann in einer engen Strasse. Als ich mich ein bisschen genauer umschaute, wurde mir bewusst, dass ich weit und breit der einzige Weisse war. Ich fühlte ich etwa wie die einzige geschälte Haselnuss in einer Tafel brauner Schokolade.

Die Frauen verhalten sich ziemlich speziell am Carnaval. Z.B. wird man des öfteren überfallsmässig auf den Mund geküsst. Die Frauen machen z.T. Wettbewerbe unter sich, wer am meisten Männer küsst. Da dies nicht nur von den Hübschesten und den Gesündesten praktiziert wird, muss man ganz schön auf der Hut sein. Ausserdem spürt man des öfteren eine Hand, welche einen über Brust, Bauch und Allerwertester gleiten. Weil alles immer sehr schnell geht, und ein extremes Gedränge herrscht, weiss man oft nicht einmal, wem die Hand gehörte. Oder es kommt eine Frau auf einem zu. Wegem dem Gedränge hat man keine Chance auszuweichen. Wenn sie dann direkt vor einem steht, dreht sie sich plitzartig um, drückt einem ihren Allerwertesten in den Schoss, macht ein paar "obszöne" Tanzbewegungen und verschwindet wieder in der Masse. Ja, so läuft das hier... ;-) (Bild 8: Frau in traditionellen Kleidern)

Unterdessen hat der Carnaval vier Tage gedauert. Dies hinterlässt in Salvador seine Spuren. Der Uringestank ist wegen der Hitze teilweise fast unerträglich. Die Urinmengen sind an gewissen Orten so gross, dass die Strassen richtig glitschig werden. Auch die Schweissgerüche, welche einem in den Menschenmassen in die Nase steigen, sind nicht unbedingt immer ein Wohlgeruch.

Der Carnaval dauert hier noch bis Mittwochnacht. Ich werde aber voraussichtlich am Mittwoch in Richtung Landesinnere (Berge) abreisen...