Montag, 15. Mai 2006

Wochenbericht 023 (08.05.06 bis 14.05.06)

Wie schon im letzten Wochenbericht angetönt, stand am Montag ein Ausflug in die Minen von "Potosí" auf dem Programm. Wir hatten eine Tour bei "Koala Tours" gebucht. Zuerst wurden wir mit Gummistiefel, Überhose, Jacke, Helm und Stirnlampe ausgerüstet. Danach gingen wir zum "Mercado Minero (Markt der Mineure)". Das ist eine Strasse, in welcher der Mineur in verschiedenen Läden alles kaufen kann, was er zum arbeiten in den Minen bracht. Das geht von Schaufel, Stiefel, Kleider, Dynamit bis Alkohol und Koka-Blätter. (Bild 1: Zwei junge Mineure vor einem Mineur-Laden in Potosí)

Auf drei der von Potosí-Mineuren gebrauchten Gegenständen möchte ich anbei ein bisschen näher eingehen:

  • Stirnlampe: Um in den Minen arbeiten zu können, braucht es Licht. Die Minen von "Potosí" haben eine schlechte Infrastruktur, d.h. es gibt keinen Strom und somit auch kein Licht. Die einzigen Lichtquellen sind die Stirnlampen der Mineure. Da die Mineure zwischen 10 bis 18 Stunden am Stück in den Minen arbeiten, muss natürlich eine langlebige Batterie verwendet werden. Ein chinesisches Produkt, welches zwischen einem halben und einem ganzen Jahr eingesetzt werden kann, kostet den Mineur ca. einen Wochenlohn (ca. 200 Bolivianos bzw. US$ 25). Die beste Batterie - ein deutsches Produkt, welches während 10 bis 15 Jahren eingesetzt werden kann - kostet ca. zwölf Wochenlöhne (ca. 2400 Bolivianos bzw. US$ 300). Diese können sich allerdings die meisten Mineure nicht leisten, so dass die meisten Mineure das chinesische Produkt einsetzen. Diese halten an einem langen Arbeitstag aber nicht immer bis am Schluss, so dass es nicht unüblich ist, dass die Mineure im Dunkeln den Ausgang aus den Minen suchen müssen. Die Batterien müssen natürlich jeden Tag aufgeladen werden. Dazu bringt der Mineur seine Batterie jeden Abend zum "Markt der Mineure", um sie in einem Laden für ein Boliviano sechs Stunden lang aufladen zu lassen. (Bild 2: Cerro Rico in Potosí)
  • Dynamit: Um in den Minen die Tunnels vorantreiben zu können, braucht der Mineur natürlich Dynamit. Jeder Mineur muss sein Dynamit selber kaufen. Auch dies kann er beim "Markt der Mineure" erledigen. Das Interessante ist, dass sich JEDER auf dem "Markt der Mineure" Dynamit kaufen kann. Mineure, Touristen, Terroristen, etc. Es frägt niemand, für was man es braucht. Es ist wahrscheinlich wie mit dem Sturmgewehr, das jeder Schweizer zuhause stehen hat. All zu viel Unfug wird interessanterweise damit nicht betrieben. Eine Stange Dynamit kostet ca. 6 Bolivianos bzw. einen Schweizer Franken. (Bild 3: Andy in Mineur-Ausrüstung und acht Stangen Dynamit in den Händen)
  • Koka-Blätter: Die Geschichte des Koka-Blatt-Kauens, und damit auch die Geschichte des "Kokaines", ist eng mit den Minen von "Potosí" verknüpft. Die Spanier fanden im Mittelalter schnell heraus, dass das Kauen von Koka-Blättern durch die Mineure verschiedene Vorteile hat. Der Saft der Kokablätter enthält erstens viele Nährstoffe, so dass die Mineure während ihrer Schicht nicht zu essen brauchen. Der Kokain-Wirkstoff hat des weiteren einen positiven Effekt auf die Sauerstoffaufnahmefähigkeit des Blutes, was für die Leistungsfähigkeit der Mineure auf über 4'500 M.ü.M. ein wichtiger Faktor ist. Ausserdem betäubt der Kokain-Wirkstoff auch den Rachenbereich, was in der staubigen Arbeitsumgebung für die Leistungsfähigkeit der Mineure ebenfalls ein wichtiger Faktor ist. Die Spanier befahlen deshalb den versklavten Indianern und Schwarz-Afrikanern, welche in den Minen von "Potosí" arbeiten mussten, Koka-Blätter zu kauen. Seit dann hat sich dass Koka-Blätter-Kauen in der Region von Bolivien und Peru verbreitet. Ein Mineur kaut an einem Arbeitstag ca. das Volumen eines 1-Liter-Tetrapackes an Kokablättern. Sie sammeln dabei eine grössere Menge an Koka-Blättern in einer Backenseite an, und behalten diese für mehrere Stunden im Mund. (Bild 4: Zwei Mineure beim schaufeln. Beim linken Mineur sieht man deutlich die ausgebeulte Backe mit den Koka-Blättern)

Die Mineure sind nicht bei keiner Gesellschaft angestellt. Sie arbeiten selbständig, meist in Gruppen ("Kooperativen") von 10 bis 30 Mann. Viele Mineure starten schon im Alter von 15 Jahren mit der Arbeit als Mineur. An einem guten Tag verdient ein Mineur ca. 100 Bolivianos (ca. US$ 12). Davon muss aber mehr als die Hälfte für Steuern, Arbeitshilfsmittel (wie z.B. Kleider, Werkzeug, Stirnlampen, Dynamit, Zündschnüre, etc.), Transport, Koka-Blätter und sonstige Nebenkosten wieder abgezogen werden, so dass für einen 10 bis 18 stündigen Arbeitstag unter wiedrigsten Arbeitsbedingungen nicht mehr als US$ 5 übrig bleiben. (Bild 5: Gruppenbild mit Guide in den Minen des Cerro Rico von Potosí)

Das Hauptproblem der Arbeit in den Minen ist der Staub. Er verursacht die "Staublungenkrankheit (Silikose)", an welcher viele Mineure sterben. Ein Mineure hat eine durchschnittliche Lebenserwartung von 45 Jahren. Ist der Mineur zusätzlich noch Raucher, sinkt seine Lebenserwartung signifikant auf unter 35 Jahren. Ein weiteres Gesundheitsproblem sind die giftigen Gase, welche in den Minen auftreten. Es sind dies z.T. natürliche Gase, aber v.a. durch die Dynamitexplosionen entstehenden Gase. Obwohl diese Tatsachen allen Mineuren bekannt ist, arbeiten mangels Arbeitsalternativen 12'000 Männer in den Minen des "Cerro Rico" in "Potosí". In "Bolivien" arbeiten im Total ca. 80'000 Männer in verschiedenen Minen. (Bild 6: Mineure, beim Versuch einen entgleisten, zwei Tonnen schweren Trolley wieder zurück in die Schienen zu hieven)

So, zurück zu unserer Minen-Tour. Nachdem uns unser Guide den "Markt der Mineure" erklärt hatte, und wir unsere Geschenke (Dynamit, Zündschüre, Getränke und Koka-Blätter) für die Mineure eingekauft hatten, gingen wir zuerst zu einer Fabrik, in welcher die aus den Minen gewonnenen Geröllmassen verarbeitet werden. Kurz gesagt werden die Geröllmassen zuerst zu Staub zermahlt. Aus diesem Staub werden anschliessend mittels chemischen Reaktionen die verschiedenen Mineralien herausgelöst. Es war z.T. erschreckend, wie sorglos sowohl für Mensch als auch für Natur die Arbeiter mit den z.T. hochgiftigen Chemikalien umgingen. (Bild 7: Extraktion der Mineralien durch chemische Reaktionen)

Anschliessend gingen wir dann in eine Mine, wo wir fast drei Stunden verbrachten. Kaum zu glauben, was diese Leute bei 30° Hitze, staubiger und auf 4'600 M.ü.M. sehr dünner Luft in diesen Minen leisten. Ich war nicht unglücklich, als wir die Tunnels, in welchen wir z.T. auf allen Vieren kriechen mussten, wieder verlassen konnten. Zum Abschluss zeigte uns dann unser Guide noch, wie man mit einem Plastiksack bzw. mit einer PET-Flasche, Dynamit, einem Explosionsverstärker und einer Zündschnur eine "Bomba" bastelt. Natürlich musste dann den pyromanische Trieben Folge geleistet werden, und die "Bombas" zur Explosion gebracht werden... ;-) (Bild 8: Andy mit einer brennenden "Bomba" in den Händen, siehe auch Video).

Am Dienstag wollten wir nach "Sucre" weiterreisen. Leider waren die Langstreckenbusfahrer in "Bolivien" seit über 1.5 Wochen im Streik. Deshalb mussten wir für die 2.5 Stunden Fahrt auf ein Taxi ausweichen. So richtig geschmerzt hat dies unsere Portmonnaies allerdings nicht, denn die Taxis sind in "Bolivien" extrem günstig. Pro Person kostete die Fahrt knapp CHF 8.00... ;-)

In "Sucre" (2'790 M.ü.M.) quartierten wir uns in der Jugendherberge "HI Hostal Sucre" ein, welche von einem älteren Schweizer geführt wird. Eine sehr schöne und saubere Herberge, mit einem schönen Garten und einem riesigen, mit alten Möbeln ausgestatteten Speissesaal. "Sucre" ist gemäss Verfassung die Hauptstadt von "Bolivien". Da aber ausser dem nationalen Gerichtshof alle wichtigen Regierungs- und Verwaltungs- institutionen in "La Paz" ansässig sind, ist "La Paz" aber de facto die Hauptstadt von "Bolivien". "Sucre" ist eine sehr schöne und gepflegte Kolonialstadt, welche den Anschluss an die Moderne aber nicht verpasst hat. Es war manchmal fast ein wenig schwer, sich vorzustellen, dass man immer noch in Bolivien ist. Aber ausser ein bisschen in der Altstadt herumzuwandern, ein paar Kolonialkirchen anzuschauen und den Zentralfriedhof mit seinen unzähligen "Mausoleen" zu besuchen, gab es in "Sucre" nicht all zu viel zu tun. Einfach ein schöner Ort, um sich ein bisschen auszuruhen. (Bild 9: Iglesia San Felipe Neri, eine der vielen Kolonial-Kirchen in Sucre)

Am Mittwoch liessen wir es uns so richtig gut gehen. Um 17:00 traffen wir uns auf der Restaurantterrasse beim Aussichtspunkt von "Sucre", um im Liegestuhl bei zwei Flaschen Weisswein und einem Teller frischen Oliven und Käsewürfeln den Sonnenuntergang zu beobachten. Anschliessend gingen wir in die Herberge zurück, wo ich mich dann in der Küche ein wenig kreativ betätigen konnte. Zuerst gab es mit Knoblauch und Käse überbackene Baquette-Stücke, danach Reis mit einer Gemüse-Curry-Sauce und zum Dessert frische Ananasscheiben mit einer Schokoladensauce. Dazu noch drei Flaschen Rotwein. Wir waren danach alle - ausser Raphael, welcher sich am Vortag eine Magenverstimmung eingefangen hatte - so voll, dass wir früh schlafen gingen. (Bild 10: Apero auf dem Aussichtspunkt von Sucre / Bild 11: Nachtessen im Speissesaal des Hostel "HI Hostal Sucre)

Apropos Magenverstimmung: Von uns fünf temporären Reisegefährten, bin ich bis jetzt der einzige, welcher sich in "Bolivien" noch keine Magen-Darm-Verstimmung eingefangen hat. Das ist ziemlich erstaunlich, denn in "Bolivien" ist das Wort "Lebensmittelhygiene" noch ein ziemlich unbekanntes Wort. V.a. die Fleischmärkte sind ganz übel. In "Bolivien" scheint jedes Gramm eines Schlachttieres irgendwie verwertet zu werden, und z.T. auch tagelang an der freien Luft aufbewahrt zu werden. Als Scott für Raphael in einer Apotheke "Antibiotika" kaufen ging, sagte der Apotheker, dass Europäer in "Bolivien" wegen der mangelnden Hygiene auf keinen Fall Fleisch essen sollten. Naja, seit ich in "Bolivien" bin, weiss ich wieder genau, wieso ich mich grösstenteils fleischlos ernähre. (Bild 12: Abgetrennte Kuhköpfe auf dem Markt von Potosí)

Eigentlich wollten wir am Donnerstag nach "La Paz" reisen. Wegen dem Busstreik war dies leider aber nicht möglich. Es blieb uns die Möglichkeit entweder mit dem Flugzeug oder mit Lastwagen, kleinen Minibusen oder sonstigen Fortbewegungsmitteln nach "La Paz" zu kommen. Da keiner genau wusste, wie lange wir für die normalerweise zwölf Stunden dauernde Fahrt nach "La Paz" mit den "Alternativ-Fortbewegungsmitteln" haben würden, entschieden wir uns für die Luxusvariante mit dem Flugzeug. Bevor wir aber am Freitag um 11:05 abflogen, galt es um 00:00 den Geburtstag von Tom zu feiern. Zuerst in einer Bar, dann in einer Karaoke-Bar (die Bolivianer lieben Karaoke, können aber leider überhaupt nicht singen) und am Schluss in einer Disco. Nach diesem Disco-Besuch musste ich dann definitiv das bolivianische Rating in der elften Spalte von "Andy's Country Rating" verbessern... ;-)

Am Freitag flogen wir dann nach "La Paz". Erstaunlicherweise gab es auf dem Flughafen von "Sucre", welcher nur 2.5 Stunden von "Potosí" entfernt ist, wo jeder tonnenweise Dynamit kaufen kann, keinen einzigen Security-Check. Naja, wir kamen trotzdem gut in "La Paz" (3'660 M.ü.M.) an. Wir quartierten uns im "Hotel Intercontinental" ein. Für US$ 5 pro Person bekamen wir eine Suite mit vier Schlafzimmern, zwei Badezimmern, einer Küche und einer Stube mit Sofas und TV... ;-)

"La Paz" ist die höchstgelegene Hauptstadt der Welt. Wir machten an diesem Tag nicht mehr viel, ausser dass wir uns auf einem Aussichtspunkt die Stadt und den Sonnenuntergang anschauten. Auf dem Weg zurück zum Hotel wollten wir noch kurz einkaufen gehen. Aus dem "kurz" wurde dann allerdings "lang", denn in "La Paz" gibt es fast keine Supermärkte. Wir mussten uns alles bei zahlreichen Strassenständen zusammen suchen. Wir waren von den Nachwirkungen der Geburtstagfeier und der Höhenlage so müde, dass wir nach einem selber gekochten Abendessen schon bald ins Bett gingen. (Bild 13: La Paz mit dem Berg Illimani (6'462 M.ü.M.) im Hintergrund)

Am Samstag machte ich dann eine Sight-Seeing-Tour durch "La Paz". Allerdings bietet diese Stadt betreffend Sehenswürdigkeiten nicht gerade viel. Viel interessanter ist es, den Leuten in der Strasse und dem Treiben in den unzähligen Strassenmärkten ein bisschen zuzuschauen. Auch ziemlich speziell sind die "Schuhputzer" in "La Paz". Die meisten tragen eine tief über die Stirn gezogene Baseball-Kappe. Darüber tragen sie zusätzlich noch eine Skimütze, damit niemand ihr Gesicht erkennen kann. Ein Foto von einem durfte ich erst machen, als ich dessen Service in Anspruch genommen hatte. Naja, für CHF 0.15 hatte ich dann wieder saubere Schuhe und ein Foto im Kasten. Als ich ihn dann fragte, wieso er die Kappen tragen würde, erklärte er mir, dass "Schuhputzer" in "La Paz" diskriminiert würden. Und aus diesem Grund will auch niemand erkannt werden. Als ich ihn dann fragte, warum er dann keiner anderen Arbeit nachgehen würde, meinte er, dass er Stundent sei, und so sich ein bisschen Geld verdienen würde. Als ich dann noch fragte, was er genau studieren würde, sagte er nur, dass er zu Universität gehen würde. Naja, wer's glaubt... ;-) (Bild 14: Strassenmarkt in La Paz / Bild 15: Mein Schuhputzer)

Am Sonntag hiess es dann schon wieder: "Ausruhen vom Samstagabendausgang"... ;-) Ansonsten stand ausser ein bisschen in der Stadt herumstrollen nicht viel auf dem Prgramm. Abends veranstalteten wir mit ein paar Gringo-Girls aus England in unserer gemütlichen, allerdings aber kalten Suite einen Poker-Abend mit Pizza.