Sonntag, 24. Juni 2007

Bericht 078 (20.06.07 bis 23.06.07)

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Meine Reise ging mit dem Zug weiter von "Jodhpur" nach "Bikaner" (Link 1, 2). Als ich am Donnerstag um die Mittagszeit in den Zug stieg, sah ich, wie sich in der Ferne ein dunkler Sandsturm auf "Jodhpur" zubewegte.

Ich hatte für diese fünfstündige Fahrt die zweitgünstigste Klasse gebucht (die indische Bahn kennt ca. sieben verschiedene Klassen). Die billigste Klasse sind die offenen Bahnwagen mit Holzbänken. Bei der zweitbilligsten Klasse hat man immerhin schon ein bisschen Polsterung auf den Sitzen. Aber die Bahnwagen sind ebenfalls offen, d.h. Fenster ohne Scheiben dafür mit Gitterstäben (sieht von Aussen ein bisschen aus wie ein Gefängniswagen). Falls man Glück hat, erwischt man in diesen beiden Klassen einen Bahnwagen, in welchem die Ventilatoren funktionieren. Andernfalls wird es halt vor allen in den Bahnhöfen ein wenig heiss und stinkig.

Der Zug fuhr natürlich mitten durch diesen Sandsturm. Die Fahrt wurde wegen den offenen Fenstern ein wenig sandig und staubig. Als der Sandsturm vorüber war, wurde es allerdings nicht viel besser, denn die Zugstrecke führte durch ein wüstenähnliches Gebiet. Und der aufgewirbelte Sand und Staub wurde natürlich ebenfalls in den Bahnwagen geblasen. Ich sass deshalb fünf Stunden lang mit Sonnenbrille und mit um Mund und Nase gewickeltem Halstuch auf meinem Sitz und schaute zu, wie sich der Wagen langsam aber sicher mehr und mehr mit Sand und Staub füllte.

Ein bisschen verstaubt kam ich dann gegen 16:00 in "Bikaner" an. Nach einer wohltuenden Dousche machte ich mich dann aber gleich auf den Weg, um mir eine kleine Wüstentour mit Kamel zu organisieren. Nach langem Suchen wurde ich dann bei "Vino Safari Tour" fündig. Leider gab es zur Zeit keine Touristengruppe, welcher ich mich für eine Tour hätte anschliessen können. "Vinot" organisierte aus diesem Grund eine speziell auf meine Wünsche zugeschnittene Tour. Der Preis bewegte sich deshalb eher am oberen Preisrand, aber mit 1'100 Rupien (ca. CHF 33.00 bzw. 22.00) pro Tag immer noch verkraftbar. Dafür erhielt ich eine Jeep-Fahrt zum Startpunkt meiner Safari, einen Kameltreiber, einen Koch, zwei Kamele, drei Mahlzeiten und vier Liter Trinkwasser pro Tag. Am nächsten Tag um 07:30 sollte es losgehen.

"Vinot" half mir dann auch noch bei der Organisation meiner Weiterreise nach dem Ende der Safari. Nachdem dies alles erledigt war, setzte er mich um 20:30 beim zu einem teuren Hotel umgebauten "Lalgarh Palace" ab, damit ich auch noch bei Nacht ein wenig "Sight Seeing" betreiben konnte. In dem Hotel waren zahlreiche Jagdtrophäen aufgehängt (u.a. mind. 12 Tigerfelle). Um dort allerdings auch mein Abendessen zu geniessen, lag dann nicht mehr ganz in meinem Budgetbereich. Ich ging deshalb ins Zentrum zurück, um in einem günstigeren Restaurant zu essen. In dem Restaurant fühlte ich mich allerdings mehr wie in einer Disco als wie in einem Restaurant. Die unendlich vielen Stromausfälle liessen die Lichter wie in einer Disco an und aus gehen.

Am Freitagmorgen startete meine Wüstentour. Der Kameltreiber und der Koch warteten am Rande der "Thar"-Wüste mit zwei Kamelen auf mich. Ein Kamel war für mich, das zweite Kamel zog eine Kamelwagen (die Räder waren zwei alte Flugzeugreifen), auf welchem das Kamelfutter, unser Proviant, Wasser und die Kochausrüstung sowie die zwei Inder (Rajastanis) transportiert wurden. Die "Thar"-Wüste in der Nähe von "Bikaner" ist keine Wüste wie z.B. die "Sahara"-Wüste. Hohe Sanddünen gibt es nicht. Die "Thar"-Wüste is ziemlich flach und hat eine spärliche Vegetation (vereinzelte Bäume und Sträucher). Und sie ist zumindest an den Randregionen sogar ein wenig besiedelt, denn ab und zu sieht man wieder die eine oder andere Lehmhütte in der Mitte von nirgendwo.

Nach ca. drei Stunden (ich spürte meinen Allerwertesten schon ziemlich schmerzhaft) machten wir in einer leerstehenden Lehmhütte Mittagspause. Der Koch machte sich an die Arbeit und bereitete Gemüse-Curry mit Chapati (indisches Fladebrot) vor. Während den 1.5 Stunden, die der Koch für die Vorbereitung der Mahlzeit brauchte, tauchten plötzlich zwei Knaben in unserer Hütte auf, und später auch noch ein älterer Mann. Die wollten natürlich auch verpflegt werden. Aber es hatte genug für alle, und das Essen war ausgezeichnet, wenn auch ein bisschen sandig... ;-) Die zwei Jungs verschwanden irgendwann ohne Wiedersehen oder Danke wieder in der Wüste. Der alte Mann füllte von unserem Wasservorrat noch seine Flasche auf und verschwand mit dem Hinweis, dass er nun sein verloren gegangenes Kamel in der Wüste suchen gehen müsste, dann ebenfalls wieder. Der Kameltreiber und der Koch brauchten nach dem Essen allerdings eine "Siesta" (wie dieses spanische Wort den Weg in den Wortschatz dieser Wüstenbewohner gefunden hat, wüsste ich allzu gerne), so dass wir uns zwei Stunden im Schatten schlafen legten.

Gegen 16:00 ging es weiter. Eine halbe Stunde bevor wir um 19:00 unser Nachtlager aufschlugen, passierten wir ein grösseres Wüstendorf. In diesem Dorf hatte es viele Pfauen. Ich konnte allerdings kein einziges gutes Foto von ihnen machen, denn überall wo ich hinging, folgte mir eine Menge von ca. 40 schreienden Kindern und ein paar Erwachsenen. Und dass die Vögel vor dieser Menge und damit von mir den Reissaus nehmen würden, war irgendwie einleuchtend. Die Handzeichen, dass sie doch zumindest hinter mir und nicht vor mir herrennen sollten, konnten oder wollten sie nicht verstehen.

Das Nachtlager auf einer kleinen Sanddüne war schnell aufgeschlagen. Es mussten nur der Kamelwagen abgespannt und die Kamele abgesattelt werden. Ich stellte mein Zelt auf und der Koch machte sich daran Tomaten-Curry mit Chapati zu kochen. Schon gegen 21:30 legten wir uns schlafen. Die zwei Inder auf ihrem Kamelwagen und ich im Zelt. Mir wurde es aber bald zu heiss in diesem Zelt. Und da es in dieser Wüste nichts gab, was einem zu stechen, zu beissen oder zu fressen schien, legte ich mich auf eine Decke unter den freien Sternenhimmel und die Milchstrassen.

Am nächsten Morgen gab es zum Frühstück weder Curry noch Chapati, sonder ein paar über dem Feuer geröstete Toasts mit Marmelade. Da ich mein Hinterteil vom Vortag noch ziemlich spürte, entschied ich mich zumindest am Vormittag ebenfalls auf dem Kamelwagen durch die Wüste zu gondeln. So durch diese Einöde getragen zu werden, war total friedlich. Nur ein paar gelegentliche Kamelfurze und -rülpser trübten die Stille... ;-) Zu sehen bekam ich viele Antilopen, Wüstenfüchse, viele verschiedene bunte Vögel, ein paar Reptilien sowie eine Unzahl von kleinen und grossen Käfern. Und von Zeit zu Zeit in der Umgebung von Lehmhütten kleinere Herden von Schafen, Ziegen oder Kühen. Was die allerdings zu fressen fanden, war mir ein Rätsel.

Gegen 11:00 war dann schon Mittagspause angesagt. Unter einem vertrockneten Baum, der kaum Schatten spendete, machten wir einen Halt. Man glaubt es kaum, aber es gab Kartoffel-Curry mit Chapati... ;-) Geschmeckt hat es trotzdem. Nach einer kurzen Siesta unter dem Kamelwagen ging dann die Tour weiter, bis wir gegen 15:00 ein Städtchen namens "Deshnoke" erreichten. Das war schon der Endpunkt meiner Safari. In diesem Städtchen gab es sogar noch eine Sehenswürdigkeit. Der mit Ratten- und Taubenscheisse gefüllte Rattentempel "Karni Mata" (Link 1, 2), wo von Pilgern tausende von Ratten verehrt werden, war allerdings nicht so mein Ding.

Mit einem öffentlichen Bus fuhr ich zurück nach "Bikaner", wo ich im Haus von "Vinot" eine unbedingt benötigte, kühlende Dousche (es war ein bisschen heiss gewesen zwei Tage in der prallen Wüstensonne) nehmen konnte, bevor die Reise weiter ging. Ich hatte nämlich einen Sleeper-Ticket für einen Nachtbus nach "Amritsar" gebucht. Diese Sleeper-Busse sind eine indische Spezialität. Eigentlich ein normaler Bus mit drei Sitzen pro Sitzreihe. Über den Sitzen sind aber jeweils Einzel- und Doppelbetten angebracht. Ich hatte mir ein solches Einzelbett reserviert. Die zehnstündige Fahrt wurde allerdings zu einer meiner schlimmsten Nachtbusfahrten, welche ich durchgemacht habe. Das Bett war für mich erstens zu kurz. Zweitens war die Matte von Dreck schwarz gefärbt, stinkig und extrem dünn. Und drittens herrschte im Bus trotz offenen Fenstern eine ziemliche Hitze. Ach und viertens wurde mir empfohlen, mein ganzes Gepäck ebenfalls auf meinem schmalen Bett zu verstauen, da ich es ansonsten am Ziel eventuell nicht mehr vorfinden würde. Wie auch immer, ich überstand die Nacht mit wenig Schlaf trotzdem und kam um 05:00 in "Amritsar" an.

"Amritsar" ist die heilige Stadt der "Sikhs", weil sich dort die wichtigste Pilgerstätte, der "Goldene Tempel", befindet. "Sikhismus" ist eine Religion, welche im 15. Jahrhundert als eine Mischung aus "Islam" und "Hinduismus" gegründet wurde. Die männlichen Gläubigen erkennt man am einfachsten an den oft schwarzen, Turban-ähnlichen Kopfbedeckungen, wobei sich jeweils direkt oberhalb der Stirn unter der Kopfbedeckung eine "Beule" (zusammengebundene Haare) abzeichnet.

Nach einer halben Stunde Wartezeit war es genügend hell, um mich auf Zimmersuche zu machen. Das war nicht so einfach, weil es wegen der grossen, kontinuierlichen Pilgerschar erstens nicht so viele freien Betten gab, und zweitens es auch keine Tiefsaisonpreise gab. Es wurde am Schluss nicht das schönste, dafür aber das teuerste Zimmer, welches ich bis anhin in "Indien" hatte.

Nach ein paar Stunden Schlaf machte ich mich daran, meine Weiterreise nach "Delhi" zu organisieren und anschliessend den "Goldenen Tempel" zu besuchen. Einen "Sikh"-Tempel zu besuchen ist eine ziemlich Geldbeutel-schonende Tätigkeit, da keine Eintrittsgebühren verlangt werden. Betreten darf man die Tempelanlage allerdings nur ohne Schuhe und Socken, mit gewaschenen Händen und Füssen sowie mit einer Kopfbedeckung. Der aus Marmorstein und Gold gebaute Tempel ("Hari Mandir Sahib"), der in der Mitte eines grossen, künstlichen Teiches ("Amrit Sarovar", dt: Nektarteich) steht, war sehr eindrücklich zu besichtigen. Ebenfalls eindrücklich war die zahlreichen Pilger zu beobachten. Geschätzte 30'000 Pilger besuchen die Tempelanlage täglich. Eine weitere Eigenheit von "Sikh"-Tempeln ist, dass alle Besucher mit einer einfachen Mahlzeit kostenlos verpflegt werden. Die ganzen Prozesse, wie das Essen zubereitet wurde, wie die Besucher das Essgeschirr fassten und im Speissesaal am Boden Platz nahmen, wie das Essen verteilt wurde, und wie am Schluss das Essgeschirr wieder gesammelt und gereinigt wurde sowie der Speissesaal wieder für die nächste Besucherschar geputzt wurde, war faszinierend zu beobachten.

Für 16:00 hatte ich mir einen Platz in einem Jeep organisiert, welcher zur 30 Kilometer entfernten indisch, pakistanischen Grenze bei "Attari"/"Wagah" fuhr. Dort findet allabendlich eine bizarre Grenzschliessungszeremonie statt.

Die Grenze besteht aus zwei Toren, ein indisches und ein pakistanisches, mit jeweils der entsprechenden Flagge darüber. Bei der Zeremonie geht es mehr oder weniger darum, die Flaggen einzuziehen und die Tore zu schliessen, was allerdings etwa eine halbe Stunde dauert. Es ist schwierig das ganze Prozedere in wenigen Worten zu beschreiben. Es zeigt auf der einen Seite die Rivalität der seit Jahrzehnten verfeindeten Länder, ist aber auf der anderen Seite ein perfekt sychronisiertes Komiktheater mit grossen, gut gebauten und perfekt uniformierten Soldaten.