Samstag, 27. Oktober 2007

Bericht 095 (22.10.07 bis 26.10.07)

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Der letzte Bericht endete ja mit der fünfstündigen Wartezeit in der mongolischen Grenzstadt "Sükhbaatar". Um 11:00 fuhr unser Zug dann endlich auf die russische Seite. Kaum hatte der Zug angehalten, kam ein Grenzbeamter, der die Pässe einsammelte und ein erster Suchtrupp, welcher den Zug von vorne bis hinten und von oben bis unten auseinander nahm. Selbstverständlich konnten die Passagiere den Zug während dem ganzen Prozedere nicht verlassen, da alle Türe verriegelt waren. Als dies erledigt war, warteten wir etwa eine weitere Stunde. Dann kam der zweite Suchtrupp. Dieses Mal waren es aber anstelle von drei Beamten gerade deren sieben, die unseren Zug ein weiteres Mal auseinander nahmen. Als auch das überstanden war, warteten wir wieder fast eine Stunde, bis sich unser Zug dann endlich nach knapp NEUN STUNDEN an der Grenze wieder in Bewegung setzte. Meine Abteilungsgenossinnen versicherten mir immer wieder, dass dieses Prozedere nichts mit Bürokratie zu tun hätte. Das wäre ganz normal. So lange dauern tut es angeblich nur, weil der Zug auf die russische Lokomotive so lange warten muss. Jaja, wer's glaubt wir selig... ;-)

Wie auch immer, der Fahrplan wurde eingehalten und um 21:00 kamen wir in "Ulan-Ude" an. Allerdings hatte ich erst später herausgefunden, um welche Uhrzeit ich angekommen war. "Ulan-Ude" ist zwar in der gleichen Zeitzone wie die "Mongolei", weil aber in "Russland" das doofe Sommerzeitsystem verwendet wird, und ausserdem einzelne Uhren nach "Moskau"-Zeit laufen, war das zuerst ein wenig verwirrend. Wie auch immer, beim Aussteigen half ich der jüngeren Buryatin aus meinem Abteil ein wenig beim Gepäck heraustragen. Sie wiederum revanchierte sich mit ein paar hilfreichen Übersetzungen am Ticketschalter, wo ich gerade mein Weiterreise-Ticket nach "Irkutsk" für den Folgetag kaufte. Ich hätte auch im Zug sitzen bleiben können. Dann wäre ich allerdings nachts am "Baikalsee" vorbei gefahren, und hätte auch den grössten "Lenin"-Kopf der Welt in "Ulan-Ude" verpasst.

In meine Guidebook hatte ich gelesen, dass es im Bahnhofgebäude von "Ulan-Ude" ein Gasthaus ("Komnaty Otdykha") geben würde. Da mein Zug am nächsten Morgen schon um 10:00 weiterfuhr, erschien mir dies als die ideale Lösung. Von vielen Touristen bin ich über das teure "Russland" vorgewarnt worden. Als ich dann aber für ein Bett für zwölf Stunden in einem Vierer-Schlafsaal RUB (Rubel) 362.00 (CHF 17.05) auf den Tisch blättern durfte, musste ich schon das erste Mal ein paar Mal leer schlucken. Nachdem ich bezahlt hatte, führte mich die robuste, russische Aufpasserin in einen der Schlafsäale. Auf einem der vier Betten lag schon ein ebenfalls sehr rubuster und nur mit Schwinger-T-Shirt und Jeans bekleideter Mann. Sein ziemlich düster dreinblickendes Russenmafia-Gesicht war mit einem dunkelblauen Auge verziehrt. Als ich dann allerdings neben seinem Bett eine "Micky Mouse"-Tasche stehen sah, war ich nicht mehr so wirklich beeindruckt... ;-)

Eigentlich wollte ich am nächsten Morgen schon um 07:30 los marschieren, um den "Lenin"-Kopf begutachten zu gehen. Um diese Zeit war es draussen allerdings immer noch stockfinster, so dass ich mich für eine weitere Stunde auf's Ohr legen konnte. Bei düster, tristem Wetter besuchte ich dann den "Lenin"-Kopf etwas später doch noch. Bei soviel grau kam richtige "UdSSR"-Stimmung auf... ;-)

Um 09:53 fuhr dann pünktlich mein Zug los. Viele Leute hatte es in dem Zug nicht. Was ich aber beobachten konnte, war die Tatsache, dass etwa die Hälfte der anwesenden, einheimischen Männer schon um zehn Uhr morgens am Bier trinken waren. Allerdings muss ich zugeben, dass ich mir morgens um neun Uhr ebenfalls schon eine Dose Bier gekauft hatte. In einem Krämerladen hatte ich in einem Regal eine Bierdose mit dem coolen Namen "Doctor Diesel" gesehen. Da konnte ich nicht widerstehen. Allerdings wartete ich mit dem Trinken dann schon bis in den späteren Nachmittag. Trotz coolem Namen schmeckte es leider nicht viel besser als hundert andere Biere. Aber es wurde lustigerweise Bier Nummer 200 auf "Andy's International Beer Review".

Der Streckenabschnitt der transsibirischen Eisenbahn zwischen "Ulan-Ude" und "Irkutsk" wird als einer der schönsten Abschnitte bezeichnet, weil er direkt am dunkelblauen "Baikalsee" entlang führt. Ich bekam allerdings vom dem nicht wirklich viel zu sehen. Graue Wolken, Schneesturm und dreckige Fenster waren der Aussicht nicht wirklich bekömmlich... :-(

Gegen Abend traf ich dann in "Irkutsk" ein, wo mich ein Dorm-Bett im Gasthaus "Downtown Hostel" doch unverschämte Rubel 500.00 (CHF 23.05) kostete. Noch unverschämter waren aber die Preise in einem Internet-Café. RUB 40 pro Stunde plus RUB 3.00 pro heruntergeladenem Megabyte, und ich war zwei Stunden später RUB 189.00 (CHF 8.90) ärmer... :-( Auch im Restaurant, wo ich mir ein Nachtessen gönnte, war es nicht viel besser. Da stand neben jedem Menüpunkt wieviel Gramm serviert werden würden. Das hatte ich aber leider übersehen. Ich bestellte u.a. eine Portion Reis. Als ich dann allerdings nur gerade 100 Gramm vor die Nase gestellt bekam, konnte ich fast die einzelnen Reiskörner auf meinem Teller zählen.

Am Mittwochmorgen machte ich einen Tagesausflug an den "Baikalsee" beim Dörfchen "Listvyanka". Ich hatte Glück, dass sich im Verlauf des Tages die Wolken verzogen, und ich ein paar Fotos mit blauem Himmel schiessen konnte.

Am Abend verabredete ich mich mit dem Amerikaner Tim, der in "Irkutsk" lebt. Ich hatte ihn am Vorabend im Restaurant kennengelernt. Wir gingen in eine kleine Bar. Eigentlich war da nicht wirklich viel los. Etwa zehn Gäste und eine Sängerin, die mit ihrem elektrischen Klavier ein paar russische Lieder zum Besten gab. Das war alles. Lustig war allerdings, dass die Bar entlang der hinteren Wand ein paar runde Nischen mit jeweils einem grossen runden Tisch hatte. Und selbstverständlich hatte auch jede Nische einen Vorhang. Ich sagte zu Tim, dass jetzt nur noch ein paar düster dreinblickende Russen-Mafiosis und eine Handvoll Stripperinnen fehlen würden, um ein paar russische Stereotypen zu bestätigen.

Etwa eine Stunde später kam die Serviertochter zu Tim und bat ihn, mit ihr zur nächstgelegenen Nische zu gehen. Dort hatten unterdessen ein paar Südkoreaner Platz genommen. Die wollten etwas spezielles bestellen. Da die Serviertochter kein Englisch und die Südkoreaner kein Russisch sprachen, brauchten sie Tim, der übersetzen konnte. Es stellte sich dann heraus, dass die Herren ein paar russischen Stripperinnen zu sehen bekommen wollten. Offensichtlich ist es in "Russland" normal, dass man eine beliebige Bar in ein Stripplokal verwandeln kann. Eine Stunde später hatte die Sängerin zwei Stripperinnen auf der Bühne Platz gemacht. Eine halbe Stunde später war die Show vorbei, und die Südkorear sollten die Rechnung von RUB 2'400 (CHF 113.00) bezahlen. Sie weigerten sich allerdings zu bezahlen. Ihr Argument war, dass sich die Frauen nicht zu ihnen gesetzt und mit ihnen geplaudert hätten. [Randbemerkung: Die zwei waren AUF unserem Tischen hängen geblieben... ;-) ] Wie sich die Koreaner allerdings mit ihnen unterhalten hätten wollen, bleibt mir ein kleines Rätsel. Sie hatten sie ja nicht einmal selbständig bestellen können. Wie die Geschichte dann schlussendlich ausging, weiss ich nicht genau. Ich habe nur mitbekommen, dass sie nur einen Teil der Rechnung beglichen.

Am nächsten Tag war es den ganzen Tag grau mit ein bisschen Schneefall. Ich machte deshalb nur am Mittag einen kleinen Stadtrundgang. Abends traf ich mich wieder mit Tim für ein "Sushi"-Essen und ein paar Bierchen. Er brachte zwei Russinnen mit. Für mich war das allerdings nur beschränkt lustig, da die beiden ausser "Hello" kein Wort Englisch sprachen. Als ich um 03:00 wieder im Hostel war, ging die Party gerade weiter. Ein paar Gäste und Angestellte waren fleissig am Vodka und Bier trinken. Es wurde 07:00 bis, ich dann doch noch in die Kiste kam.

Nach ein bisschen ausschlafen ging ich zum Bahnhof, um mein Weiterreiseticket zu kaufen. Das hatte ich eigentlich schon am Vortag machen wollen. Aber dieses Ticket konnte man nur am gleichen Tag kaufen, nicht schon am Vortag. Danach noch einmal einen kleinen Stadtrundgang bei blauem Himmel, ein bisschen Proviant einkaufen für die 18-stündige Fahrt nach "Krasnoyarsk", bevor ich schon wieder ins Hostel zurück musste, um meine Sachen zu packen.