Freitag, 23. November 2007

Bericht 099 (13.11.07 bis 23.11.07)

Links zu den aktuellen Foto-Sets:

Am Dienstagmorgen musste ich wieder einmal um 06:00 aufstehen, denn mein Bus von "St. Petersburg" nach "Helsinki" fuhr um 08:00 vom südlichen Ende der Stadt los. Nach einer halben Stunde Metro-Fahrt hatte ich dann eine weitere halbe Stunde, bis ich in der Dunkelheit zwei Minuten vor Abfahrt doch noch den richtigen Bus fand. Die Fahrt durch "St. Petersburg" war etwas frustierend. Erstens kündete ein schöner Sonnenaufgang an, dass es nach drei verschissenen Tagen einen Tag mit blauem Himmel geben würde. Zweitens fuhr der Bus den ganzen Weg, den ich mit der Metro zurückgelegt hatte, zurück und hielt für weitere Passagiere vor einem Hotel, welches nur gerade zehn Gehminuten von meinem Gasthaus entfernt gewesen wäre... :-(

Wie auch immer, dafür fuhr ich in einem neuen Volvo-Bus. Ich hatte schon lange keine so bequeme Bus-Fahrt mehr erlebt. Der Grenzübergang von "Russland" nach "Finnland" war vergleichsweise schmerzlos. Die russische Grenzbeamtin schnauzte mich zwar auf Russisch an. Wahrscheinlich schien es ihr nicht sonderlich gepasst zu haben, dass ich mein Visa nirgends registrieren lassen hatte. Ich zuckte mit der Schulter, woraufhin sie den Exit-Stempel trotzdem in meinen Pass drückte. In "Finnland" funktionierte dann das Ganze ein bisschen anders. Es gab ein freundliches "Hello", dann die Frage "Where are you going?" und zum Schluss ein "Ok". Und schon war ich in "Finnland" eingereist.

Nicht nur der Grenzübergang lief sehr zivilisiert über die Bühne. Ich hatte plötzlich auch das Gefühl, als wäre ich schon in der "Schweiz". Alles war sauber und in einwandfreiem Zustand. Um 15:00 kam ich in der ultra-modernen, zentralen Busstation von "Helsinki" an. Ich war wieder einmal an einem Ort, wo gerade der erste Schnee gefallen war.

Ich hatte mir wieder über den "Hospitality Club (HC)" eine Schlafgelegenheit organisiert. Ich sollte Jay (HC-User: jay30) an seinem Arbeitsplatz, dem Plattenladen "Redhill Records", treffen. Von der "Tourist Info" liess ich mir eine Karte und eine Wegbeschreibung geben. 20 Minuten später stand ich in dem Plattenladen. Da bis 18:00 nur gerade ein einziger Kunde kam, hatten wir genügend Zeit um etwas zu plaudern, Kaffee zu trinken und meine Fotos im Internet anzuschauen. Abends gingen wir dann in seine Wohnung, wo ich sogar noch mit einem indisch-thailändischen Kuskus-Curry bekocht wurde.

Am Mittwoch hatte ich Glück. Die grauen Wolken hatten dem blauen Himmel Platz gemacht. Dafür aber bei eisigem Wind besichtigte ich ein paar Sehenswürdigkeiten von "Helsinki". Den Abend verbrachte ich dann wieder mit Jay in dessen Wohnung mit Musik hören (er hat eine riesige LP-Sammlung), im Internet surfen und mit der Verköstigung von verschieden, finnischen Biersorten.

Am Donnerstagmorgen musste ich dann schon wieder früh aus der Klappe, denn meine Fähre ("Eckeröline") von "Helsinki" nach "Tallinn" in "Estland" fuhr schon um 08:00 los. Das war wieder einmal ein spezielles Erlebnis. Viele Finnen machen einen Tages- oder Zweitagesausflug nach "Tallinn", um im günstigeren "Estland" einkaufen zu gehen. Um noch ein bisschen präziser zu sein. Einkaufen ist nicht der einzige Grund für diese Ausflüge. Der Alkoholkonsum spielt eine gerade ebenso wichtige, wenn nicht wichtigere Rolle. Um Punkt 08:00 legte die Fähre los. Und zur genau gleichen Zeit öffneten die drei verschiedenen Bars im dritten Stockwerk der Fähre ihre Rollläden. Die Leute strömten in Massen an die Theken. Die etwas Gemässigten bestellten zuerst einmal einen "Kaffe Schnaps", während die Hartgesottenen sich schon ihr erstes Bier bestellten. Gegen 09:00 wurde dann auch noch die Tanzfläche freigegeben, wo die Leute zu den Klängen einer finnischen Volksmusikgruppe zu tanzen begannen. Wer frühmorgens nicht schon festen wollte, konnte ansonsten die Zeit in einem Frühstücksbuffet-Restaurant, mit einarmigen Banditen oder im schiffseigenen "Duty Free Supermarket" verbringen.

Die Bug-Klappe hielt dicht und drei Stunden später war ich schon in "Tallinn". Nach einer problemlosen Grenzkontrolle machte ich mich direkt auf den Weg ins Zentrum, wo ich mich mit Ülane, meinem nächsten HC-Host, an deren Arbeitsplatz treffen sollte. Leider konnte ich ihr Büro aber nicht finden. Erst nach ein paar SMS klappte das Treffen dann. Wie sich herausstellte, war der "Striptiis-Club" (estnische Schreibweise für Striptease) "Soho", welcher sich direkt neben ihrem Büro befindet, Schuld am Nichtfinden gewesen. Ich war offensichtlich ein bisschen zu stark abgelenkt gewesen... ;-)

Ülane (HC-User: ylane), die mit ihrem Freund Kalev, nur gerade zehn Gehminuten ausserhalb des Zentrums wohnt, nahm sich die Zeit, um mir ihre Wohnung zu zeigen. Danach drückte sie mir die Wohnungsschlüssel in die Hand und ging wieder zur Arbeit zurück. Unglaublich...

Ich nutzte die restlichen drei Stunden Tageslicht, um einen ersten Rundgang durch "Tallinn" zu machen. Ich wurde positiv von einer sehr schönen und gepflegen Altstadt überrascht. Alle Kirchen und sonstigen Gebäude waren schön renoviert, und in vielen Häusern konnte man sein Geld ziemlich schnell in stilvoll eingerichteten Shops, Restaurants und Bars los werden. Den Abend verbrachte ich mit meinen zwar noch jungen, aber sehr weltoffenen und dynamischen Gastgebern bei ihnen zu Hause.

Nachdem ich die vergangenen Wochen meine Nächte in Jurten, kalten Hütten, Nachtzügen, auf Sofas und z.T. dünnen Matten am Boden verbrachte, wachte ich am Freitagtag wieder einmal richtig ausgeschlafen in einem bequemen Bett auf. An diesem Tag besorgte ich mir ein Busticket für meine Weiterreise nach "Riga" in "Lettland" und ging nochmals meiner Hauptbeschäftigung, dem Sight-Seeing, nach. Am Abend stand der grosse Ausgang mit Ülane und Kalev auf dem Programm. Und da "Tallinn" betreffend Ausgang einiges zu bieten hat, wurde es ein lustiger Abend. Und selbstverständlich, wie sich dies für eine ehemalige Republik der "Sowjetunion" gehört, kam auch der Vodka wieder nicht zu kurz...

Vodka hin oder her, am Samstagmorgen fuhr mein "Eurolines"-Bus schon um 07:00 in Richtung "Riga". Ich schlief die ganze fünfstündige Busfahrt. Nur gerade an der Grenze wachte ich kurz auf, weil mich der Grenzbeamte wach rüttelte.

Mein HC-Host in "Riga" war der 30-jäurige, norwegische Jørgen, der sich in "Lettland" niedergelassen hat. Jørgen (HC-User: jorgen) will zusammen mit dem Engländer James ins Tourismusgeschäft einsteigen. Unter anderem wollen sie eine alternative "Walking Tour" durch "Riga" anbieten. Und an diesem Samstagnachmittag wollten sie die Tour testen. Ein australischer Tourist und ich waren die Testpersonen. Ich traf mich mit den drei direkt bei der Busstation. Nachdem ich meinen Rucksack deponiert hatte, ging die Tour los. Die Tour war echt gut. Am interessantesten fand ich das Quartier mit den zahlreichen Jugenstilfassaden in der Neustadt. Wahnsinnig wie da geklotzt wurde...

Abends nahm mich Jørgen mit in den Ausgang, denn "Riga" hat diesbezüglich noch mehr zu bieten als "Tallinn". Zuerst stand Fussball auf dem Programm. "Norwegen" verlor leider aber sein EM-Qualifikationsspiel gegen die "Türkei". Nach dem Spiel machten wir noch eine kleine Tour durch verschiedene Bars, bis wir schlussendlich in einem Club landeten, den ich erst in den frühen Morgenstunden wieder verliess.

Sonntag, der 18. November, war der lettische Nationalfeiertag. Nach ein bisschen ausschlafen machte ich zusammen mit Jørgen und seiner Freundin einen Spaziergang durch die Altstadt von "Riga". Auch diese war sehr schön und gepflegt. Wegen dem Nationalfeiertag waren allerdings sehr viele Leute unterwegs. Zu sehen bekamen wir eine kleine Militärparade und ein paar öffentliche Konzerte. Das abendliche Feuerwerk schauten wir dann allerdings wegen kaltem und regnerischem Wetter zu Hause in der warmen Stube im TV.

Am Montagmorgen ging meine Reise schon wieder um 08:00 weiter. "Eurolines" fuhr den wieder schlafenden Andy in vier Stunden nach "Vilnius" in "Litauen". Meinen HC-Host (die 25-jährige Agne) konnte ich allerdings erst um 19:00 treffen, weil sie den ganzen Tag arbeiten musste. Ich startete deshalb wieder einen ersten Rundgang durch die Altstadt von "Vilnius". Auch hier wieder das gleiche Bild. Alles schön renoviert und gepflegt. Der grosse Unterschied zu den zwei anderen baltischen Hauptstädten ist, dass es noch mehr und noch imposantere Kirchen gibt.

Um 19:00 traf ich mich dann mit Agne (HC-User: siaure) beim Bahnhof. Sie wohnt in der Agglomeration von "Vilnius", so dass wir eine längere Busfahrt im Abendverkehr auf uns nehmen mussten. Kaum hatten wir ihr Apartment erreicht, fragte sie mich, ob ich Lust hätte an eine Geburtstagsparty von einer Freundin zu gehen. Das musste man mich natürlich nicht zweimal fragen. Wir bestiegen wieder einen Bus. Und auf dieser Busfahrt hatte ich sogar eine Premiere zu feiern. Es war das erste Mal auf dieser Reise, dass ich in einem Bus mit einem Chauffeur sass, der seine Route nicht wie seine Westentasche kannte. Er war eine Strasse zu früh abgebogen und musste seinen Gelenkbus daraufhin rückwärts wieder auf Kurs bringen... ;-)

Die Geburtstagsparty war eine richtige Studentenparty in einer 6er-WG-Wohnung. Es gab natürlich Bier und Vodka, eine arabische Wasserpfeiffe und eine litauische Geburtstagtorte. Das ist eine etwas gewöhnungsbedürftige Delikatesse. Den sowohl auf als auch in der Torte waren dicke, giftfarbige Streifen von Pudding-Gelée. Und diese Streifen wurden von den meisten Gästen als der beste Teil der Torte betrachtet. Schlussendlich wurde es an diesem Montagabend schon wieder 02:00, bis ich im Bett war.

Die arme Agne musste um 07:00 allerdings schon wieder arbeiten gehen, während ich mich noch einmal gemütlich umdrehen konnte. An diesem Dienstag schaffte ich es dann aber trotzdem noch einmal für ein paar Sehenswürdigkeiten und mein Weiterreiseticket ins Zentrum zu fahren.

Mein Zug nach "Warschau" in "Polen" fuhr am Mittwoch um 11:47 los. Fast alleine im Zug fuhr ich drei Stunden bis nach "Šeštokai", wo ich auf einen anderen Zug umsteigen musste. Ein paar Kilometer hinter dieser Ortschaft passierte ich die litauisch-polnische Grenze. Einen Grenzübergang bekam ich allerdings nicht zu sehen. Ich bemerkte erst, dass wir schon in "Polen" waren, als ein polnischer Grenzbeamter mit einem ultramodernen, mobilen Passlesegerät der "EU" meinen Pass sehen wollte. Ansonsten gibt es über die Fahrt noch zu erzählen, dass ich die Uhr nach dem Grenzübertritt wieder um eine Stunde nach hinten stellen musste. Damit wurde es in "Polen" schon um 15:30 stockdunkle Nacht. Als ich um 21:10 in "Warschau" ankam, war ich schon fast sechs Stunden durch die Nacht gefahren. Trotz früher Nachtstunde fühlte ich mich, als wäre ich nach Mitternacht in dieser Stadt angekommen.

Seit "St. Petersburg" reise ich ohne Guidebook. Nicht wirklich eine Heldentat, wenn man nur von grosser Stadt zu grosser Stadt fährt. Aber irgendwie trotzdem ein ganz anderes Reisegefühl, wenn man irgendwo ankommt und keine Ahnung hat, wo hinten und vorne ist. Wie auch immer, gegen 23:00 hatte ich dann auch wieder die Wohnung meines nächsten "HC"-Gastgebers, die 30-jährige Monika und ihr 44-jähriger Freund Kuba, gefunden. Monika (HC-User: futrzaczek) ist ein ausgezeichneter Koch, und ich wurde sogar noch zu später Abendstunde mit einer polnischen Spezialität bekocht.

Als ich am Donnerstagmorgen zum Fenster raus schaute, traute ich meinen Augen fast nicht. An einem normalerweise grauen Novembertag gab es blauen Himmel und Sonnenschein. Bevor ich aber das schöne Wetter geniessen konnte, musste ich allerdings zuerst zum Bahnhof, um mir bei der "Tourist Info" eine Stadtkarte geben zu lassen und am Ticketschalter ein Weiterreiseticket nach "Berlin" zu besorgen. Alles in allem brauchte ich geschlagene 1.5 Stunden, um diese zwei einfachen Dinge zu erledigen. Vor allem an den verschiedenen Ticketschaltern, die ich zu konsultieren hatte, fühlte ich mich wieder nach "Russland" zurückversetzt. Der grosse Unterschied war, dass ich auf die Frage "Do you speak English?" anstelle eines unfreundlichen, russischen "Njet" ein unfreundliches, polnisches "Nje" an den Kopf geworfen bekam und mit einer Handbewegung weggewinkt wurde. Nachdem ich trotzdem noch ein Ticket hatte besorgen können, war es währenddessen schon fast 12:00 geworden, und mir blieben nur noch gut drei Stunden bis zum Sonnenuntergang. Diese nutzte ich, um einen Rundgang durch die Shopping-Strasse und die historische Altstadt zu machen.

Auch am Freitag war wieder herrliches Wetter. Ich widmete den Tag ein wenig den historischen Geschehnissen während des "2. Weltkrieges" (Monument, Museen, etc.). Am Abend traf ich mich dann mit Greta (HC-User: gretakk). Ich hatte sie ebenfalls wegen einer Übernachtungsmöglichkeit angefragt. Einen Schlafplatz hatte sie mir nicht anbieten können, aber sie wollte mich auf ein Kaffee treffen. Gut war es schlussendlich nur ein Kaffee, denn über "HC" kann man definitiv auch über komische Leute stolpern... ;-)

Auf dem Weg nach Hause machte ich einen Stop bei "Carrefour" und kaufte mir sechs verschiedene Biersorten. Zuhause bei meinen netten Gastgebern verköstigte ich diese dann zusammen mit Kuba, denn Monika war schon am Morgen geschäftlich nach "Amsterdam" gereist.

In 11 Tagen habe ich somit fünf verschiedene Länder, bzw. besser gesagt fünf verschiedene Hauptstädte, besucht. Es war eine sehr intensive Zeit, weil ich immer irgendwie mehrere Sachen gleichzeitig tat. Sight-Seeing, Weiterreise und Unterkünfte organisieren, reisen, viele Leute kennenlernen, viele Parties, Internet-Seite aktualisieren, zu wenig schlafen, hunderte Eindrücke verarbeiten, etc., etc. Manchmal hatte ich richtig Mühe zu wissen, wo ich gerade war oder zu wissen wieviel etwas kostete, denn jedes Land hatte eine andere Währung. Es waren dies:

  • Finnland: Euros (CHF 1.00 = EUR 0.614089)
  • Estland: Kronen (CHF 1.00 = EEK 9.47372)
  • Lettland: Lats (CHF 1.00 = LVL 0.425618)
  • Litauen: Litas (CHF 1.00 = LTL 2.09216)
  • Polen: Złoty (CHF 1.00 = PLN 2.19941)

Ich verzichte an dieser Stelle über jedes Land ein Fazit zu ziehen. Ich habe zu wenig gesehen, um ein solches schreiben zu können. Im Allgemeinen kann ich aber sagen, dass mit dem Grenzübertritt von "Russland" nach "Finnland" ein neues Reiseerlebnis begann. Plötzlich war ich wieder ein fast normales Mitglied der Gesellschaft. Keiner starrte mich mehr an, keiner näherte sich ungefragt, um mir irgend etwas anzudrehen, ich konnte mich wieder mit der Mehrheit der Leute auf Englisch unterhalten, etc., etc. Einfach wieder einmal westliche Zivilisation und Umgangsformen. Aber auch gerade deswegen kam mir vieles so bekannt und vertraut vor, was die Reiserei fast wieder ein bisschen langweilig machte.

Zwei Sachen möchte ich aber an dieser Stelle doch noch loswerden. Erstens haben mich diese drei baltischen Staaten positiv überrascht. Um ehrlich zu sein, wusste ich nicht wirklich viel über sie. Gesehen habe ich aber drei moderne Staaten/Hauptstädte mit vielen weltoffenen, dynamischen Leuten. Abgesehen von hässlichen, sowjetischen Wohnghettos in den Stadtagglomerationen und einem doch relativ hohen Anteil an Einwohnern mit russischen Wurzeln kann man von der unfreiwilligen, sowjetischen Vergangenheit nicht mehr viel erkennen.

Did you know?

Hast Du gewusst, dass man in der ehemaligen sowjetischen Republik "Estland" mit Hilfe von digitalen Signaturen, welche auf den Identitätskarten gespeichert sind, über das Internet ohne Papierkrieg, Anwälte und Notare offiziell z.B. eine Unternehmung gründen kann, während in der "Schweiz" seit schon über fünf Jahren immer noch an einem "E-Voting"-Versuch gebastelt wird.

Wenn jemand gepflegte Altstädte, viele Kirchen, ein für europäische Verhältnisse moderates Preisniveau, günstige Opern und Theater, gute und gepflegte Cafés und Restaurants, tolle Ausgangsmöglichkeiten sowie schöne Frauen erleben will, der sollte sich ernsthaft einmal überlegen, den baltischen Staaten in der wärmeren Jahreszeit einen Besuch abzustatten.

Zweitens möchte ich noch etwas über den "Hospitality Club (HC)" schreiben. Ich habe es an anderer Stelle schon erwähnt, dass ich es auf meiner Reise mehrmals versucht habe, über den "HC" eine Gratis-Übernachtungsmöglichkeit zu organisieren. Diese Versuche waren in "Asien" allerdings nie mit Erfolg gekrönt worden. In "Europa" war dies allerdings ganz anders. Fast zwei Wochen bin ich mit "HC" durch "Europa" gereist und musste keinen einzigen Rappen für Unterkünfte bezahlen. Einheimische öffnen wildfremden Reisenden ihre Türen und investieren z.T. viel Zeit, um den Gästen einen angenehmen Aufenthalt zu bescheren. Unglaublich...! Diese Gastgeber sind meistens Leute, die selber gerne reisen. Ich hatte ein wenig das Gefühl, dass man v.a. als Vielreisender ein ziemlich begehrter Gast ist. Es ist mir zweimal passiert, dass mich "HC"-Mitglieder, die ich zuvor nicht kontaktiert hatte, angefragt haben, ob ich nicht bei ihnen unterkommen wollte. (In vielen Städten haben "HC"-Mitglieder Netzwerke gebildet, in denen Informationen über (kommende) Gäste ausgetauscht werden.)

Ich hatte mit meinen Gastgebern immer Glück gehabt. Interessante Leute mit welchen ich viele Gemeinsamkeiten austauschen und viel Spass haben konnte. Wie weiter oben beschrieben, kann es einem aber sicherlich auch anders treffen... ;-) Interessant war ausserdem, dass keiner meiner Gastgeber mehr als eine 2-Zimmer-Wohnung hatte. Geschlafen habe ich entweder auf dem Sofa im Wohnzimmer oder auf einer Matte am Boden im Kinderzimmer oder im selben Raum mit meinem Gastgeber.

Donnerstag, 15. November 2007

Bericht 098 (07.11.07 bis 12.11.07)

Links zu den aktuellen Foto-Sets:

Am Mittwoch kam ich um 13:00 beim "Kazansky Vokzal" (einer der sieben Moskauer Bahnhöfe) an. Ich verstaute mein Gepäck und machte mich direkt auf den Weg ins Herzen der Stadt. Ich wollte das erste Mal den "Kreml" und den "Roten Platz" sehen.

Das Erste, was ich zu sehen bekam, als ich die Metro in der Nähe des "Kreml" verliess, war eine Kolonne aus unzähligen Polizeimotorrädern und -autos sowie eine Handvoll schwarzen Limousinen, welche mit Hochgeschwindigkeit durch die, für sie von anderen Polizisten gesperrten, Srassen donnerten. Es sollte definitiv nicht die letzte dieser Kolonnen gewesen sein, die mir während meiner "Moskau"-Zeit den Weg versperrten. Wer weiss, vielleicht sass in einer dieser Limousine wieder unsere Aussenministerin, die mich auf meiner Reise irgendwie zu verfolgen scheint (siehe NZZ).

Schlussendlich war es dann schon ziemlich eindrücklich, an einem so geschichtsträchtigen Ort zu stehen. Der "Rote Platz" mit dem "Lenin-Mausoleum", der berühmten "Basilius-Kathedrale" und den Aussenmauern des "Kreml", hinter welchen sich die berühmten Paläste, Kirchen und Regierungsgebäude befinden. Leider war das Wetter wieder nicht so toll. Der graue Himmel und der eisige Wind trieben mich in die Wärme der dekadenten Shopping Mall "GUM", welche direkt neben dem "Roten Platz" steht. Als ich zwanzig Minuten später gegen 16:30 wieder auf den "Roten Platz" treten wollte, waren die Ausgänge von der Polizei versperrt. Man konnte die Shopping Mall nur noch durch einen Seiteneingang verlassen. Auch auf den Strassen gab überall das gleiche Bild zu sehen. Tausende Polizisten hatten alles rund um den "Roten Platz" grossräumig abgeriegelt. Nach einer Stunde herumirren hatte ich meine Metro-Station immer noch nicht erreicht. Dafür kannte ich aber den Grund für die Aufregung. Ein riesiger Demonstrationszug von "Altkommunisten" war an mir vorbeigezogen. Sie feierten an diesem 7. November den 90. Jahrestag der "Oktoberrevolution" (siehe auch Artikel in der NZZ Online).

Als ich dann doch noch eine Metro-Station fand, fuhr ich zum Bahnhof zurück, wo ich bei der unfreundlichsten Zugticketverkäuferin der Welt mein Weiterreiseticket nach "St. Petersburg" organisierte. Nachdem ich auch mein Gepäck wieder abgeholt hatte, fuhr ich ins Zentrum zurück, wo ich mich bei einer Metro-Station mit Scott traf. Tim, den ich in "Irkutsk" traf, hatte mir mit dem Hinweis, dass ich evtl. bei Scott eine Unterkunft finden könnte, dessen Email-Adresse gegeben. Und er bot mir auch tatsächlich einen Platz zum schlafen an. Nicht schlecht staunte ich dann, als wir vor seiner Haustür standen. In einer Seitenstrasse, 20 Meter von der berühmten Moskauer Shopping-Meile "Arbat" und direkt neben der Residenz des englischen Botschafters befand sich meine "Moskau"-Bleibe... ;-)

Am Donnerstagmorgen wollte ich den "Kreml" anschauen gehen. Der war aber an diesem Tag geschlossen. Stattdessen lief ich durch das russische Mini-Wachsfigurenkabinett ("Lenin-Mausoleum") und machte einen Rundgang durch die Altstadt. Vor dem ehemaligen "KGB"-Gebäude lief es mir dann aus verschiedenen Gründen kalt den Rücken hinunter, weshalb ich mich entschied ein wenig "Metro" fahren zu gehen. Die "Moskauer Metro (Link 1, 2)" ist ja für seine reich verziehrten Metro-Stationen weltbekannt.

Did you know?

"Moskau" hat die meistgenutzte Metro der Welt. Täglich werden 9 Mio. Passagiere befördert. Das ist ein höheres Transportaufkommen als in den Metros von "London" und "New York" zusammen. In der "Rush Hour" konnte ich beobachten, dass auf einzelnen Linien das Intervall zwischen zwei Zügen kleiner als eine Minute war.

Ich nahm die Ringlinie (braune Linie) und fuhr einmal im Kreis, wobei ich bei jeder Station zur Besichtigung ausstieg. Da hatte es wirklich ein paar eindrückliche Stationen darunter. Am Abend traf ich mich mit Jason, einem weiteren Freund von Tim, für ein Nachtessen in der angeblich legendären Bar "Propaganda".

Am Freitag besichtigte ich dann den "Kreml". Der Eintritt (inkl. Museum) kostete unverschämte RUB 650.00 plus zusätzlich RUB 60.00 für die Gepäckaufbewahrung (Total CHF 32.50; das "Moskau" nicht günstig sein würde, hatte ich schon am ersten Tag erfahren, als ich für simples Wasser lassen RUB 20.00 (CHF 0.95) auf den Tisch blättern musste) . Das Museum war sehr interessant. Im "Kreml" selber bekam man abgesehen von ein paar Gebäuden von aussen und ein paar Kirchen von innen nicht wahnsinnig viel zu sehen.

Abends um 19:50 fuhr dann mein Zug nach "St. Petersburg". Zu meiner Freude war mein Platz in einem fast fabrikneuen Wagen. Allerdings hatte ich mich etwas zu früh gefreut. Obwohl neu war im Innern alles genau gleich gebaut, wie in allen anderen Platskartny-Wagen, in welchen ich bis anhin gereist war. Zwei kleine Unterschiede gab es allerdings. Der Sitzbezug hatte eine andere Farbe und in der Nähe der Toilette hing eine Digitalanzeige mit einem Freizeichen für die Toilette und einer Innentemperaturanzeige. Als ich den Zug bestieg, hatte es 22° Celsius im Wagen. Als ich mich drei Stunden später schlafen legen wollte, war die Anzeige (und natürlich auch die Temperatur) unterdessen auf 31° Celsius geklettert. Da sag ich nur: Die spinnen, die Russen... ;-)

Um 04:00 war ich dann schon in "St. Petersburg". Ich setzte mich zuerst einmal für drei Stunden in die riesige Wartehalle, bevor ich auf den Weg zum "Cuba Hostel" machte.

Über "St. Petersburg" habe ich nicht so viel zu erzählen. Es war kalt und windig. Die meiste Zeit schneite oder regnete es, und morgens waren jeweils alle Gehsteige vereist. Ich habe ein Fort ("Peter-und-Pauls-Festung"), verschiedene Kirchen ("Peter-Pauls-Kathedrale", "Kasaner Kathedrale", "Auferstehungskirche", "Isaakskathedrale [Link 1, 2]"), verschiedene Museen ("Eremitage", "Kunstkammer") und andere Gebäude angeschaut. Mit den vielen Kanälen und dem z.T. italienischen Baustil erinnerte mich die Stadt fast ein wenig an "Venedig". Sicherlich eine faszierende Stadt. Wenn man so durch die Strassen läuft, wird man immer wieder überrascht. Da biegt man um eine Ecke und steht plötzlich vor einem monumentalen Gebäude, welches auf der Karte mit allen Sehenswürdigkeiten nicht einmal eingezeichnet ist. Ohne warmes Wetter, grüne Bäume und Parkanlagen sowie ohne blauen Himmel machte das Sight-Seeing allerdings nur halb soviel Spass. Der Nachteil des Sommers hingegen soll aber angeblich sein, dass so viele Touristen durch die Stadt schwärmen, dass es auch nicht mehr lustig ist.

Vielleicht noch zu erwähnen ist, dass ich mich am Samstagabend mit zwei neu-reichen Russen für ein paar Bierchen traf. (Die spezielle Telefonnummer, die auf xxxx22255222 endete, hatte ich von Jason in "Moskau" erhalten). Wie sich herausstellte waren es zwei russische "BAT"-Top-Manager, welche sich über meine Geschichten fast nicht mehr einkriegen konnten.

Damit sind 3.5 intensive Wochen in "Russland" vorbei, und es ist an der Zeit wieder einmal ein kleines, subjektives Fazit zu ziehen. "Russland" zu bereisen war von "A" bis "Z" ein ganz spezielles Erlebnis. Das fing schon mit der Visa-Beschaffung auf der russischen Botschaft in "Bangkok" an (siehe Bericht 083 und Bericht 084). Da braucht man zuerst einmal einen "Visa Support Letter", bevor man überhaupt ein Visa beantragen kann. Auf der Botschaft wird man dann extrem schlecht und unfreundlich bedient. Das Visa kostete mich ausserdem unverschämte US$ 75.00 (CHF 83.95). Und zu guter Letzt müsste man eigentlich an jedem Ort, wo man sich länger als 72 Stunden aufhält, sein Visa bei der "OVIR"-Behörde registrieren lassen. Alles in allem bekommt man als Tourist bei der Reisevorbereitung für "Russland" nicht wirklich das Gefühl zumindest von offizieller Seite in irgend einer Weise Willkommen zu sein.

Mit diesen Gefühlen trat ich dann auch meine Reise durch "Russland" an. Was ich dann aber erlebt habe, ist eine ganz andere Geschichte. Das war in jeglicher Hinsicht ein Wechselbad der Gefühle. Ich habe die freundlichsten als auch die gehässigsten Leute getroffen, über die schnellsten als auch über die unlogischsten Abläufe gestaunt, die billigsten als auch die teuersten Preise bezahlt, an einem Tag einen Liter Tee und am nächsten Tag einen Liter Vodka getrunken, mir fast mein bestes Stück in einem Eisloch abgefroren oder aber in den Weiten des winterlichen "Sibiriens" geschwitzt, etc. etc. etc.

"Russland" zu bereisen fand ich nicht besonders einfach. Dies liegt vor allem daran, dass sehr wenig Leute Englisch sprechen. Aber auf diesen Punkt muss ich ein bisschen genauer eingehen, denn einfach so ist diese Erklärung zu plump. Ich habe in "Russland" oft die Erfahrung gemacht, dass sich die Leute quasi wieder in ihr Schneckenhaus zurückzogen, nachdem sie realisiert hatten, dass wir nicht in einer gemeinsamen Sprache kommunizieren konnten. Im Gegensatz zu den meisten anderen Ländern, wo die Leute sich nicht genieren quasi mit Händen und Füssen zu kommunizieren, scheinen die Russen irgendwie beschämt zu sein oder wollen sich nicht in irgend einer Form bloss stellen. Deshalb blocken sie einem ab, und man bekommt einfach nur eines dieser bekannten "Njet" um die Ohren geworfen. Ein weiteres Problem ist, dass in "Russland" natürlich alles in kyrillisch angeschrieben ist. Schilder in Englisch sind so gut wie inexistent. Nicht einmal die wichtigsten Sehenswürdigkeiten in "Moskau" waren entsprechend beschriftet. Die einzige Ausnahme diesbezüglich war "St. Petersburg". Die Stadt und deren Einwohner scheinen einiges weltoffener zu sein.

Ebenfalls erschwerte einem die Tatsache das Leben, dass sich alles hinter dicken Mauern befindet. Manchmal muss man durch drei Türen laufen, bis man in einem Gebäudeinnern ist. Im Gegensatz zu z.B. "Südostasien", wo wegen den warmen Temperaturen alles offenen ist, kann man in russischen Städten oft durch eine Strassen laufen, und man hat keine Ahnung, ob man gerade an einem Restaurant, Hotel, Minimarkt, Schuh- oder Coiffeurgeschäft vorbei läuft (grosse Fensterfronten ist ebenfalls nicht gerade die Stärke der Russen).

Weiter war ich in "Russland" über den guten Zustand der Infrastruktur und über das Preisniveau erstaunt. Einiges ist zwar günstiger als in "Westeuropa". Aber viele Preise von westlichen Konsumgütern sind entweder gleich oder sogar höher als in der "Schweiz". Im Gegensatz dazu sind aber die Löhne noch einiges tiefer. Wie eine Sekretärin, die etwas mehr als US$ 1'000.00 pro Monat verdient, mit US$ 300.00-Stiefeln, Markenkleidern und dem neusten Mobiltelefonmodell durch die Moskauer-Strassen stiefeln kann, ist mir persönlich ein kleines Rätsel.

Über "Russland" könnte ich noch viel schreiben. Ich möchte es diesmal aber dem Leser selber überlassen, sich eine Meinung zu bilden. Während den vielen Zugfahrten habe ich zahlreiche Beobachtungen über Land und Leute niedergeschrieben. Einzelne dieser Beobachtungen mögen typisch für "Russland" sein, andere vielleicht nur Einzelfälle. Ich überlasse es wie gesagt dem Leser diese zu werten.

"Russland", das Land wo

  • aufgedonnerte, pelztragende Frauen mit der Bierflasche in der Hand durch die Strassen laufen;
  • Händchen haltende Pärchen bei -5° Celsius und Schneefall auf einer Parkbank sitzen und an einem Eis lutschen;
  • eine Rolle "Pringles" teurer ist als in der "Schweiz", und ein Kilogramm unreife Mangos RUB 660.00 (CHF 30.22) kostet;
  • ich zum ersten Mal seit langem wieder einmal von einzelnen Autofahrern den Vortritt am Fussgängerstreifen erhielt;
  • mir ebenfalls zum ersten Mal seit langem wieder auf der Strasse Männer entgegen kamen, die eine Wolke von Rasierwasserduft hinter sich herzogen;
  • wo viele Frauen auch bei vereisten Strassen so hohe und lange Stiefel tragen, dass mir manchmal fast schwindlig wurde;
  • wo es schöne Frauen fast wie Sand am Meer zu geben scheint;
  • wo in vielen Restaurants hinter jedem Menüpunkt das Gewicht in Gramm angegeben ist, man die Sauce zu einem Gericht separat bestellt, und man entweder mit einer leeren Brieftasche dafür mit vollem Magen oder aber hungrig und mit halbvoller Brieftasche das Restaurant verlässt;
  • man betreffend Freundlichkeit Himmel und Hölle innerhalb weniger Minuten mehrmals erleben kann;
  • es in (russisch-orthodoxen) Kirchen keine Sitzbänke gibt, die Frauen ihren Kopf bedecken müssen, und ich aber meine Kappe abziehen und meine Hände aus den Hosensäcken nehmen musste;
  • in kleinen oder mittelgrossen Lebensmittelgeschäften oft bis zur Hälfte der Regalfläche mit Spirituosen, Bier und Zigaretten belegt ist;
  • ich gesamthaft gesehen den kältesten Teil meiner Reise verbracht habe, aber trotzdem am öftesten nackt herum gerannt bin (russische Saunas ["Banyas"] und kalte Flüsse lassen grüssen);
  • wo ich das erste Mal seit langem wieder einmal halbwegs vernünftigen Käse kaufen konnte;
  • ich, könnte ich noch einmal 20 sein, mich definitiv für fünf Jahre an einer Universität für mein Studium einschreiben würde;
  • man ständig irgendwie das Gefühl hat, von jemandem beobachtet zu werden (sei dies die Putzfrau, die Polizei, eine Überwachungskamera, eine Aufpasserin, die Provodnista, ein Sicherheitsmann im Supermarkt, etc.);
  • ich zwischen "Irkutsk" und "Moskau" bzw. während elf Tagen bzw. während 5185 km keinen einzigen westlichen Touristen ausmachen konnte;
  • es zumindest in "Sibirien" zum guten Glück noch keine "McDonalds" dafür aber "Gucci" und "D&G" gibt;
  • das Wort "Gastfreundschaft" noch gross geschrieben wird;
  • im Winter viele Fahrzeuge Pneus mit kleinen Metall-Spikes montiert haben, und diese auf schnee- und eisfreien Strassen ein Geräusch verursachen, als würde ein Mini-Panzer an einem vorbei fahren;
  • fast jeder zweite Mann Gitarre spielen und dazu russische Volkslieder singen kann;
  • ich ständig meine Uhren den unterschiedlichen Zeitzonen anpassen musste, aber trotzdem immer irgendwie etwas konfus über die tatsächliche Uhrzeit war;
  • es Kronleuchter in den Wartehallen von Bahnhöfen gibt;
  • viele Menschen blaue Augen haben. Bei den Frauen sind sie meistens echt, bei den Männern sind sie allerdings eher temporärer Natur, da sie oft von Suff-Schlägereien zu stammen scheinen;
  • wo ein einfaches "Ja" mit "Da" zu übersetzen ist, allerdings die meisten Russen das Wort dreimal wiederholen ("DaDada"), und dies für mich immer ein wenig tönte, als würde ein Schweizer sich über ein Kleinkind in einem Kinderwagen beugen und "DaDaDa" sagen;
  • Männer sowie Frauen oft ein Schuhputz-Set mit sich tragen, um regelmässig ihre Schuhe glänzen zu können;
  • Frauen die Männer z.B. auf der Strasse oft von oben bis unten mustern, wie dies sonst eigentlich nur Männer mit Frauen tun, und ich des öfteren spätestens, als die Frauen bei meinen Trekking-Schuhen angelangt waren, verloren hatte und evtl. noch ein mitleidiges Lächeln erntete;
  • wo es viele echte "Wasserstoff-Blondinen" gibt;
  • in den Zügen die meisten Passagiere ihren Schlafplatz so ordentlich, militärisch korrekt herrichten, als würden sie demnächst die Betteninspektion durch einen Militäroberst erwarten, welcher mit einem Exekutionskommando durch den Zug läuft;
  • vor allem im östlichen Teil viele Autos das Lenkrad auf der rechten Seite haben, obwohl in "Russland" Rechtsverkehr herrscht. (Die Autos wurden günstig aus "Japan" importiert.)
  • bis 1991 noch tiefer "Kommunismus" herrschte, und nicht einmal 20 Jahre später die Leute nun fast dem dekadentesten "Kapitalismus", den man sich vorstellen kann, frönen;
  • immer, wenn man von einem/r Verkäufer(in) eine Quittung erhält, diese(r) einen Riss in die Quittung macht (Dies bedeutet, dass man die auf der Quittung aufgeführte Ware erhalten hat);
  • in den meisten englischsprachigen Zeitschriften eine oder mehrere Anzeigen für Luxus-Escort-Services zu finden sind;
  • die Bahn 17 unterschiedliche Saisonpreise kennt, und ich glücklicherweise in der günstigsten Saison gereist bin (während den russischen Sommerferien und zwischen Weihnacht und Neujahr wären meine Tickets doppelt so teuer gewesen);
  • die Leute ein wenig paranoid betreffend Sicherheit sind, denn manche (Wohnungs)Türen haben Schlösser, wie man sie normalerweise in den Tresorräumen von Schweizer Banken vermuten würde.

Oh Mütterchen "Russland", wie hast Du mich mit Deinen Leuten überrascht... Vielen Dank!

Mittwoch, 7. November 2007

Bericht 097 (31.10.07 bis 06.11.07)

Links zu den aktuellen Foto-Sets:

Nachdem ich das erste Mal gut in einem russischen Zug geschlafen hatte, kam ich um 07:00 von "Novosibirsk" kommend in "Omsk" an. Auch hier gab es wieder das übliche Spiel. Gepäck verwahren, Ticket für die Weiterreise am Abend kaufen und anschliessend die Stadt anschauen gehen. Es war wieder kalt und windig. Es gab ein paar schöne Kirchen, die obligate "Lenin"-Statue, ein Theater und ein paar andere schöne Häuser zum anschauen. Am frühen Nachmittag hatte ich genug und setzte mich in eine Bar, wo ich Bericht 096 schrieb. Leider ging meine Reise allerdings erst gegen 23:00 weiter.

Auch die Fahrt nach "Jekaterinburg" verlief unspektakulär und ich kam gegen 12:00 wieder ordentlich ausgeschlafen an. Diesmal musste ich mir allerdings nicht gerade ein Weiterreise-Ticket organisieren. Ich hatte vor zwei oder drei Nächte in der Stadt zu bleiben. Weil es in "Jekaterinburg" aber keine bzw. nur ganz wenige Budget-Unterkünfte gibt, hatte ich eine andere Bleibe organisiert.

Im Internet gibt es den "Hospitality Club (HC)". Registrierte Benutzer bieten sich gegenseitig gratis eine Übernachtungsmöglichkeit, einen geführten Stadtrundgang oder ähnliches an. Zur Sicherheit der Benutzer wird jede Registrierung (inkl. Passnummer) manuell überprüft, und die Benutzer bewerten sich gegenseitig. Ich hatte in den grossen, teuren Städten "Asiens" auf diese Weise schon das eine oder andere Mal versucht, eine günstige Übernachtungsmöglichkeit zu finden. Das hatte aber nie richtig hingehauen.

Ganz anders war dies aber in "Russland". Zwei Tage vor meiner Ankunft in "Jekaterinburg (Eburg)" hatte ich an vier "HC"-Mitglieder aus "Eburg" eine Email geschrieben und betreffend einer Übernachtungsmöglichkeit angefragt. Unglaublich aber wahr, am nächsten Tag hatte ich drei Einladungen in meinem Email-Posteingang. Ich entschied mich für die Einladung des 42-jährigen Sergey (Benutzername: action), der auf seiner Benutzerseite neben Übernachtungsmöglichkeiten auch Ausflugsinformation über die Umgebung von "Eburg" versprach.

Bevor ich mich aber mit Sergey traf, machte ich bei herrlich, blauem Himmel einen Stadtrundgang durch "Jekaterinburg", wo ich unter anderem die Stelle, bei der die russische Zarenfamilie "Romanow" von den "Bolschewiki" am 16.07.1918 ermordet worden war. Heute steht an dieser Stelle die die neue, byzantinische Kirche "Church of the Blood" mit einem riesigen, goldenen Dom.

Gegen Abend ging ich dann zum Büro von Sergey. Er ist selbständig und betreibt eine Handelsplattform. Da zur Zeit gerade Schulferienzeit war, hatte er neben seiner Sekretärin auch noch die Hilfe von seinem 14-jährigen Sohn Sascha im Büro. Nach ein bisschen Warten fuhren wir zur Wohnung. Das war eine 2-Zimmer-Wohnung im Sowjet-Stil. Etwas speziell. Wie auch immer, im Verlauf des Abends kam dann auch noch Sergey's zweiter Sohn, der13-jähriger Kostya, und seine 27-jährige Freundin Svetlana nach Hause. Bei Kerzenschein schauten wir dann auf dem Computer Ferienfotos der Familie an. Geschlafen habe ich dann im Zimmer der Jungs auf ein paar Matten.

Schon am Vorabend hatte Sergey einmal nebenbei angetönt, dass die Familie über das Wochenende einen Ausflug in den südlichen "Ural" machen würde. Am Freitagmorgen fragte er mich dann, ob ich mich nun entschieden hätte mitzukommen. Häähhh... er hatte mich gar nie danach gefragt... ;-) Aber egal, ich brauchte nicht lange zu überlegen um zu zu sagen. Am Freitagabend um 19:00 sollte die 6-stündige Fahrt beginnen. Genügend Zeit um noch einmal ins Zentrum von "Jekaterinburg" zu gehen und ein Weiterreise-Ticket für den kommenden Montagabend zu organisieren.

Schlussendlich fuhren wir dann abends um 22:00 los und kamen am Samstagmorgen nach einer ziemlich ungemütlichen Fahrt um 05:00 an unserem Ziel an. Das Ziel war die russische Ferienanlage "Tourist Base Malinovka" von Sergey's Bruder im "Ural" etwa 15 km von der Stadt "Beloretsk" entfernt. Die Ferienanlage bestand aus zwei grossen, russischen Holzhäusern. Jedes Haus bot ein paar Zimmer sowie Gemeinschaftswaschraum, -küche und -wohnzimmer mit Kamin. Für die nicht zahlenden Gäste gab es dann noch ein kleines Gartenhaus mit ein paar Betten, wo wir uns einquartierten.

Nach ein paar Stunden Schlaf machten Svetlana, Sergey und ich uns auf, um in den umliegenden "Ural"-Bergen (für mich waren dies allerdings eher etwas grössere Hügel) wandern zu gehen. Schlussendlich erstiegen wir den kleinen (913 m.ü.M.), mittleren (986 m.ü.M.) und grossen (1'156 m.ü.M.) "Malinovka" und überquerten dafür barfüssig eisige Flüsse. (Kein Problem für Svetlana, denn sie wurde von Sergey über die Flüsse getragen.)

Das Abendessen kochte ich. Allerdings musste ich ziemlich Gas geben (nicht so einfach, denn russische Kartoffeln bekommt man einfach nicht weich), weil alle so bald als möglich ins "Banya" (russische Sauna) wollten, welches schon Betriebstemperatur hatte. Das war wieder ein Super-Erlebnis. Eine russische Sauna ist einiges heisser als z.B. eine finnische Sauna. Zusätzlich nehmen die Russen Birken- und Tannenzweige (jeweils mit getrockneten Blättern bzw. grünen Nadeln) mit in die Sauna. Die Zweige werden zuerst ins kalte Wasser und danach über die heissen Steine gehalten. Mit den so behandelten Zweigen schlagen sich die Russen dann entweder selber oder gegenseitig auf den Rücken, Brust, Beine und die Fusssohlen. Angeblich soll's gut für die Muskeln sein. Naja, Russen sind sind schon ein bisschen sado-masochistisch veranlagt... ;-) Aber der von den Zweigen verbreitete Duft roch auf jeden Fall sehr gut. Nach zehn Minuten war dann Zeit für die Abkühlung. Dazu liefen wir nackt und barfüssig 50 Meter durch die kalte Nacht zum nahe gelegenen Fluss, wo wir über eine kleine Leiter in ein Eisloch steigen konnten. Brrrrrr... ;-) Das ganze wiederholten wir fünfmal. Dann war es Zeit sich vor das Kamin zu setzen, Vodka und Bier zu trinken und den Klängen von ein paar russischen Liedern, welche Sergey auf einer Gitarre zum Besten gab, zu lauschen. Super... :-)

Am Sonntag hätten wir eigentlich den nächsten Berg besteigen wollen. Aber in der Nacht war im "Ural" der erste Schnee gefallen, und der Himmel war grau behangen. Stattdessen machten wir einen kleinen Reitausflug. Am späteren Nachmittag fuhren wir dann in die Stadt "Beloretsk". Sergey wollte einen alten Freund (Vadim Stroikin) besuchen, welcher am Stadtrand ein kleines Hotel (Hotel Parus) leitet. Es ging nicht lange, da sassen wir vor dem Feuer des Hotelkamins, tranken Tee, assen Schokolade und lauschten den selbst komponierten Liedern, welche Vadim zum Besten gab. Als wir uns später wieder verabschiedeten, schenkte er mir sogar noch zwei seiner CDs. Unglaubliches "Russland"... :-)

Am Abend war ein Freund der Familie mit seiner eigenen Familie im "Tourist Base" angekommen. Dieser Freund nannte sich selber Ural. Er war nicht nur extrem dick, sondern schien auch sehr wohlhabend zu sein, denn er bestellte alles ess- und trinkbare, was das Gasthaus zu bieten hatte. Ich musste/durfte mich neben ihn setzen. Allerdings "musste" ich dann auch das Gleiche essen und trinken wie er. Und dies wurde dann irgendwann vor allem bei der nicht gerade unerheblichen Vodka-Menge ein kleineres Problem... ;-) An diesem Abend war es die umgekehrte Reihenfolge. Zuerst Vodka, und danach Banya. Gegen 22:30 machten sich dann ein sturzbetrunkener Schweizer und 11 alkoholisierte Russen auf den Weg ins Banya. Ich weiss nicht genau, welche Reihenfolge die bessere ist. Auf jeden Fall kam mir das Eiswasser an diesem Abend nicht mehr so kalt vor... ;-) Nach dem "Banya" ging das Gelage dann weiter. Sie endete für mich irgendwann nach 03:00, als ich trotz Gegröle vor dem Kamin einschlief.

Am Montagmorgen machten wir uns um 09:00 wieder auf den Heimweg. Die fast 7-stündige Fahrt zurück nach "Jekaterinburg" war wegen den Folgen dieser russischen, durchsichtigen Flüssigkeit etwas hart... :-(

Um 22:25 des gleichen Tages fuhr mein Zug nach "Kasan". Mein Abteil enthielt eine Frau und vier Männer, wovon drei lustigerweise Andrej hiessen. Irgendwo etwa 20 km ausserhalb von "Jekaterinburg" überquerte ich die Asien-Europa-Grenze. Namensvetter hin oder her, einer der drei Andrejs hatte um 03:00 das Gefühl, dass er rauchen gehen müsste. Beim Aufstehen kippte er im Dunkeln eine halbvolle Bierflasche um. Und natürlich war ich wieder einmal der Leidtragende... :-(

Um 12:00 kam ich in "Kasan" an. Rucksack verwahren und Ticket für die Nachtfahrt nach "Moskau" besorgen, und dann konnte ich wieder einmal bei -5° Celsius und Schneefall einen Stadtrundgang machen. "Kasan" ist die Hauptstadt der teilautonomen Republik "Tatarstan". Sie ist bekannt für die zahlreichen Moscheen und den Kreml, welcher im Jahr 2000 in die Liste der "UNESCO"-Weltkulturerben aufgenommen worden ist. Gegen 16:30 setzte ich mich mich in ein Café, um mich ein wenig aufzuwärmen. 45 Minuten später, als ich wieder in die Strasse trat, traute ich meinen Augen fast nicht. Es war unterdessen schon fast stockdunkel und die Strassen fast menschenleer. Nachdem ich mich im Café noch einmal versichert hatte, dass ich bei der Ankunft in "Kasan" die richtige Uhrzeit eingestellt hatte, blieb mir nicht viel anderes übrig, als mich auf die Suche nach einem Internet Café zu machen. Man glaub es kaum, aber ich fand eines, welches für nur gerade RUB 26.40 (CHF 1.20) unbegrenzten Internet-Zugang gewährte. Eine Sensation für russische Verhältnisse.

Der Zug nach "Moskau" fuhr um 22:25 los. Der Zug war nur gerade zu etwa 30% gefühlt. Ich verbrachte wieder einmal eine geruhsame Nacht, in welcher ich auch kein unfreiwilliges Bierbad nehmen musste... :-)

Donnerstag, 1. November 2007

Bericht 096 (26.10.07 bis 30.10.07)

Link zum aktuellen Foto-Set: Von Irkutsk nach Novosibirsk

Am Freitagabend um 18:00 bestieg ich in "Irkutsk" meinen Zugwagen für die Fahrt nach "Krasnojarsk". Der Zug war bis auf den letzten Platz ausgebucht. Und auf meinem Bett lag schon jemand. Ich brauchte deshalb die Hilfe der extrem dicken "Provodnista (russ. für Wagen-Stewardess)". Mit ihrer Hilfe bekam ich dann doch noch ein freies Bett.

Als ich mein Zeugs abgelegt hatte, schaute ich mich ein bisschen um. Sensationell, da wurden mir in diesem Zugwagen gerade mehrere Klischees, welche man über "Russland" so im Kopf hat, vor Augen geführt. Das versprach eine interessante Fahrt zu werden. Da waren zum Beispiel die Leute. Männer mit typischem, russischem Gesicht, "Adidas"-Trainer und Zigarettenschachtel in der Hand. Oder deren Frauen. Die hatten sich es ebenfalls bequem gemacht. Sie trugen eine Art von Morgenmäntel, welche noch aus tiefster "Sowjet"-Zeit zu stammen schienen. Zwei ebenfalls mitreisende Chinesen hatten sich in ihre chinesischen, seidenen Pijamas geworfen. Junge Soldaten stolzierten mit Badeschlappen, Shorts, Erkennungsmarke auf der nackten Brust und Bierflasche in der Hand fortwährend durch den Wagen. Und natürlich war auch noch die schon erwähnte, dicke Provodnista. Und mittendrin stand neben unendlich vielen Vodkaflaschen noch ein Schweizer Tourist namens Andy, der vom halben Wagen wie ein Marsmännchen angeglotzt wurde. Es stellte sich dann heraus, dass nur eine Person im Zug ein bisschen Englisch sprechen konnte. Es war der aus "Ulan-Ude" stammende, 27-jährige Vlad, der sich zusammen mit seinem Freund auf der dreitägigen Fahrt zu seinem Arbeitsplatz (ein Holzfällerlager in der Mitte von Nirgendwo) befand. Als erstes bot er mir natürlich gerade ein ein Glas Vodka an. Und was das für ein Glas war. Wahrscheinlich hatte er es vor zwei Jahren das letzte Mal gewaschen. Aber egal, Alkohol desinfisziert ja bekanntlich.

Es war super-spannend diesen temporären Mikrokosmos zu beobachten. Beim Nachtessen teilte jeder mit jedem. Danach wurden die Plätze gewechselt, und jeder redete ein bisschen mit jedem. Alt mit jung, hässlich mit schön, etc. Bei den Haltestellen sprangen die Männer auf und halfen den Frauen die schweren Taschen heraus zu tragen.

Die Nacht wurde dann allerdings ein wenig ungemütlich, da die ganze Zeit ein Geläuf von ein- und aussteigenden Passagieren einen ziemlich hohen Geräuschpegel verursachte. Nicht wirklich ausgeschlafen kam ich dann kurz vor 12:00 in "Krasnojarsk" an.

Ich wollte mein Gepäck bis am Abend bei der Gepäckaufbewahrung deponieren. Daraus wurde allerdings voerst nichts, denn ich sah gerade noch von weitem, wie die Türen der Gepäckaufbewahrung für die einstündige Mittagspause geschlossen wurden. Aber egal, ich benötige schlussendlich eine volle Stunde, bis ich mein Weiterreise-Ticket nach "Tomsk" gekauft hatte. Ich hätte wahrscheinlich noch länger gebraucht, wenn ich nicht zufällig den jungen Russen Yevgeniy kennengelernt hätte, der ein bisschen Englisch sprach und ebenfalls in seine Heimatstadt "Tomsk" reisen wollte. Trotz Hilfe konnte ich allerdings kein Ticket für den gleichen Abend kaufen. Ich musste mit der Weiterreise bis am Sonntagabend warten.

Nachdem ich dann meinen Rucksack doch noch bei der Gepäckaufbewahrung abgeben hatte können, ging ich zum Bahnhofsgasthaus, um mir von 21:00 bis 09:00 ein Bett zu reservieren. Wegen unserem Sprachproblem bekam die Frau an der Rezeption allerdings fast einen Herzinfarkt, und es dauerte eine halbe Stunde bis das Formular für die Reservation ausgefüllt war. Das Beste war dann noch, dass ich für die Reservation einen Aufschlag von 50% bezahlen musste... :-(

Aber ich konnte mich endlich auf den Weg machen, um die Stadt anschauen zu gehen. Es war grau, kalt und schneite zeitweise. Zu sehen gab's auch nicht all zu viel. Ich bezahlte einmal sogar RUB 40.00 (CHF 1.85) um mich in einem Museum ein bisschen aufwärmen und die Toilette benutzen zu können. Gegen 21:30 bezog ich dann mein Zimmer im Bahnhofsgasthaus. Von den vier Betten im Zimmer war noch keines belegt. Nachdem ich in den vergangenen Nächten nicht gerade sonderlich viel bzw. sonderlich gut geschlafen hatte, freute ich schon auf ein ruhige Nacht. Die Freude währte allerdings nur gerade zehn Minuten. Drei Russen bezogen die restlichen Betten. Ich weiss nicht, was ich getan hatte. Ich stellte mich nur kurz vor und setzte mich anschliessend wieder auf mein Bett. Die drei sibirischen Lastwagenfahrer hatten mich aber schon irgendwie in ihr Herz geschlossen. Ich "musste" mich zu ihnen setzen und grosszügig eingeschenkten Vodkagläser nach hinten kippen... ;-) Einer der drei Lstwagenfahrer kannte etwa 100 englische Worte. Ein anderer konnte zehn deutsche Worte. Der Dritte sprach nur Russisch. Zusammen mit meinen 20 russischen Worten, waren dies immerhin 130 Worte, was doch schon eine ganz ordentliche Diskussionsbasis war... ;-) Etwas, was aber alle drei sagen konnten, war: "Rascccchhhääään Tradisccchhhääään". Und jedesmal wenn sie es sagten, musste ich ein Glas Vodka leeren. Um 02:00 waren dann drei Liter Vodka alle. Sie sagten zu mir: "Moooor Rascccchhhääään Tradisccchhhääään". Ich musste meine Jacke anziehen (der Versuch schlafen zu gehen, war nicht wirklich erfolgreich gewesen), und wir fuhren mit dem Taxi irgendwo hin. Eine halbe Stunde später stand ich mit meinen neuen, sibirischen Lastwagenfahrerfreunden in einem russischen Sauna-Club und spielte mit ihnen im Adamskostüm Billiard und trank Bier... ;-) Sensationell... ;-) Um 04:00 standen wir dann wieder in der kalten Strasse. Meine Freunde hatten allerdings immer noch nicht genug. Eine neue Flasche Vodka musste in einem 24h-Shop organisiert werden. Danach gingen wir dann zu unserem Zimmer zurück. Wie ich dann am nächsten Morgen bemerkte, hatten sie noch zwei weitere Liter Vodka getrunken. Von dem hatte ich allerdings nichts mitbekommen, denn ich war ins Koma gefallen... ;-)

Am nächsten Morgen wurde ich unsanft von der Gasthausaufpasserin aufgeweckt. Ich hatte mein 12-stündiges Bettnutzungsrecht schon um zehn Minuten überzogen. Und dies obwohl ich dank Sommer-/Winterzeitumstellung eine Stunde Nutzungsdauer und Schlaf gewonnen hatte. Trotzdem fühlte ich mich aber, als wäre gerade ein sibirischer Lastwagen über mich hinweg gerollt. Eigentlich hatte ich vorgehabt, an diesem Sonntagmorgen zum nahegelegenen Nationalpark "Stolby" zu gehen. Ich hatte allerdings zwei gute Ausreden. Es war schon zu spät und der Schneefall war zu stark... ;-) Ich setzte mich stattdessen in die Wartehalle des Bahnhofs und wartete vier endlose Stunden, die ich nicht so schnell vergessen werde, auf meinen Zug.

Auch nicht so schnell vergessen werde ich die Fahrt nach "Tomsk". Neben mir lag ein alter Mann, der wahrscheinlich an "Asthma" litt. Er atmete schwer und stöhnte laut im Schlaf, so dass ich nur wenig zum schlafen kam. Noch besser war aber sein Enkel, der oberhalb von ihm schlief. Dieser war mit einer halbvollen Bierflasche in der Hand eingeschlafen. Und irgendwann liess er diese im Schlaf auf mich fallen... :-(

Gegen 08:00 kamen wir dann in "Tomsk" an. Da ich eine Nacht bleiben wollte, machte ich mich auf die Suche nach einem Bett. Ich ging zu einem Gasthaus, in welchem ich gemäss Guidebook ein günstiges Dorm-Bett hätte erhalten können. Der Eingang war in einem Innenhof und nicht angeschrieben. Ich fragte deshalb einen älteren Mann, der am Schnee schaufeln war. Der war so glücklich, dass ich ihn nach dem Weg fragte, dass er sich die Handschuhe auszog, sich mit Namen vorstellte, und mir schlussendlich den Weg zeigte. Vier Stockwerke weiter oben erlebte ich dann das extreme Gegenteil russischer Freundlichkeit. Ich hatte schon öfters gehört, dass man in "Russland" ohne Reservation kein Zimmer bekommt, auch wenn solche verfügbar wären. Ich bekam an der Rezeption nur ein unfreundliches "Njet" an die Ohren geworfen. Ich ging zum nächsten Hotel mit dem coolen Namen "Sputnik". Dort kostete mich ein Einzelzimmer ohne Bad zwar sage und schreibe RUB 700.00 (CHF 32.85, wahrscheinlich bis anhin mein teuerstes Zimmer auf dieser Reise). Dafür waren die Leute wieder sehr freundlich. Und sie sprachen sogar Englisch.

Ich machte mich später auf einen fünfstündigen Stadtrundgang bei Schneefall. Die Stadt war etwas schöner als "Krasnojarsk". Aber prinzipiell waren die Sehenswürdigkeiten wieder die gleichen. 2. WK-Denkmal, schöne Holzhäuser, Kirchen und ein obligater "Lenin"-Platz mit "Lenin"-Statue.

Yevgeniy, der mir in "Krasnojarsk" beim Kauf des Weiterreisetickets geholfen hatte, hatte mir seine Visitenkarte gegeben, und mich gefragt, ob ich etwas mit ihm trinken gehen wollte, wenn ich in "Tomsk" wäre. Um 20:00 holte er mich zusammen mit seiner Freundin im Hotel ab. In dieser Nacht war in "Tomsk" Museum-Freinacht. Verschiedene Museen hatte bis 24:00 geöffnet und boten spezielle Vorstellungen. Es hatte sehr viele Leute, und jeder zweite schien ein Hobbyfotograf zu sein. Etwas gewöhnungsbedürftig fand ich, dass sich viele dieser Hobbyfotografen ungefragt vor mich hinstellten und mich abblitzten. Von einer lokalen Fernsehstation wurde ich dann immerhin für ein Interview gefragt, was ich natürlich gewährte... ;-) Nach den Museen ging ich mit meinen zwar noch jungen, aber ganz reizenden Gastgebern noch was trinken.

Nachdem ich seit langem wieder einmal gut geschlafen hatte, ging die Reise am Dienstagmorgen nach "Novosibirsk" weiter. Wegen ungünstigen Zugverbindungen legte ich diese 300 Kilometer mit dem Bus zurück. Bevor ich in den Bus stieg, wollte ich meinen Rucksack in den Gepäckraum legen. Der Fahrer sagte aber zu mir: "Ticket". Ich zeigte ihm mein vorgängig gekauftes Busticket. Er aber schüttelte den Kopf. Es verging ein ganzes Weilchen, bis ich begriff, was nicht stimmte. Andere Passagiere hatten ein Personen- und ein separates Gepäckbeförderungsticket. Letzteres schien zusätzlich RUB 64.00 (CHF 3.00) zu kosten. Ich wollte mich schon auf den Weg zum Ticketschalter machen, als ich zurückgerufen wurde. Jemand flüsterte mir "Fifty" zu und deutete mit dem Kopf auf den Chauffeur. Als ich dem Chauffeur RUB 50.00 (CHF 2.35) zugesteckt hatte, durfte mein Rucksack den Gepäckraum und ich meinen Sitz in Anspruch nehmen. Ich bin froh, dass dies in "Russland" meine einzige, längere Busfahrt war, denn da scheint nichts mit rechten Dingen bzw. alles unter der Hand zuzugehen.

In "Novosnibirsk" gab es dann wieder das alte Lied. Eine Stunde am Bahnhof, bis das Weiterreiseticket organisiert war. Danach machte ich einen kleinen Stadtrundgang. Das Schönste an der Stadt waren allerdings die wunderschönen Frauen. Meinen Schuhen/Füssen war dieser Rundgang allerdings wenig bekömmlich, weil ich vor lauter weiblicher Ablenkung des öfteren in eine tiefe Schneematschpfütze trat... ;-)

Mein Zug fuhr erst um 21:42. Deshalb ging ich am frühen Abend noch in ein Internet Café. Das Café hatte allerdings das kundenunfreundlichste Preissystem, welches ich bis anhin gesehen hatte. Man musste sich nämlich im voraus entscheiden, wieviel Zeit und wieviel Megabyte man benutzen wollte. Das war mir zu dumm, weshalb ich nicht allzu lange blieb. Ich verbrachte die restliche Zeit damit, in der Wartehalle einer moslemischen Grossfamilie zu zu schauen, wie sie ihr Nachtlager in der Wartehalle einrichteten.

Irgendwie hatte ich mich mit der Abfahrtzeit meines Zuges vertan, denn plötzlich hatte ich nur noch fünf Minuten bis zur Abfahrt meines Zuges. Und ich wusste noch nicht einmal auf welchem Geleise mein Zug abfahren würde. Dummerweise standen dann auf der Anzeigetafel so viele Zahlen, dass ich die Plattformnummer nicht ausmachen konnte. Und vergiss es auf gut Glück in einem russischen Bahnhof auf jemanden mit Englischkenntnissen zu stossen. Die Wahrscheinlichkeit ist wahrscheinlich fast gleich klein wie ein 6er im Lotto. Ich spurtete deshalb los. Die dritte Plattform war dann die richtige. Allerdings waren die Zugtüren schon alle geschlossen. Zu meinem Glück stand hinter einer der Zugtüren eine rauchende Provodnista, welche die Abfahrt des Zuges verhinderte und mich auf den Zug springen liess. Kaum hatte sie hinter mir die Tür wieder die Tür geschlossen, fuhr der Zug los. Ich hatte mich noch nicht fertig eingerichtet, als zwei Polizisten durch den Wagen liefen. Sie beachteten mich allerdings nicht. Fünf Minuten später kamen sie zurück, liefen zielstrebig auf meinen Platz zu und schauten sich fragend um (ich sass zu diesem Zeitpunkt auf einem anderen Platz). Es war unschwer zu erkennen, dass sie aufgrund der Passagierliste (man kann in "Russland" ohne Pass kein Zugticket kaufen) mich für eine Spezialkontrolle herausgesucht hatten. Meine Papiere waren aber in bester Ordnung (ich hatte alle Quittungen von Gasthäusern sowie Zug- und Bustickets sorgfältig aufbewahrt), und ich wurde bald wieder in Ruhe gelassen.