Donnerstag, 1. November 2007

Bericht 096 (26.10.07 bis 30.10.07)

Link zum aktuellen Foto-Set: Von Irkutsk nach Novosibirsk

Am Freitagabend um 18:00 bestieg ich in "Irkutsk" meinen Zugwagen für die Fahrt nach "Krasnojarsk". Der Zug war bis auf den letzten Platz ausgebucht. Und auf meinem Bett lag schon jemand. Ich brauchte deshalb die Hilfe der extrem dicken "Provodnista (russ. für Wagen-Stewardess)". Mit ihrer Hilfe bekam ich dann doch noch ein freies Bett.

Als ich mein Zeugs abgelegt hatte, schaute ich mich ein bisschen um. Sensationell, da wurden mir in diesem Zugwagen gerade mehrere Klischees, welche man über "Russland" so im Kopf hat, vor Augen geführt. Das versprach eine interessante Fahrt zu werden. Da waren zum Beispiel die Leute. Männer mit typischem, russischem Gesicht, "Adidas"-Trainer und Zigarettenschachtel in der Hand. Oder deren Frauen. Die hatten sich es ebenfalls bequem gemacht. Sie trugen eine Art von Morgenmäntel, welche noch aus tiefster "Sowjet"-Zeit zu stammen schienen. Zwei ebenfalls mitreisende Chinesen hatten sich in ihre chinesischen, seidenen Pijamas geworfen. Junge Soldaten stolzierten mit Badeschlappen, Shorts, Erkennungsmarke auf der nackten Brust und Bierflasche in der Hand fortwährend durch den Wagen. Und natürlich war auch noch die schon erwähnte, dicke Provodnista. Und mittendrin stand neben unendlich vielen Vodkaflaschen noch ein Schweizer Tourist namens Andy, der vom halben Wagen wie ein Marsmännchen angeglotzt wurde. Es stellte sich dann heraus, dass nur eine Person im Zug ein bisschen Englisch sprechen konnte. Es war der aus "Ulan-Ude" stammende, 27-jährige Vlad, der sich zusammen mit seinem Freund auf der dreitägigen Fahrt zu seinem Arbeitsplatz (ein Holzfällerlager in der Mitte von Nirgendwo) befand. Als erstes bot er mir natürlich gerade ein ein Glas Vodka an. Und was das für ein Glas war. Wahrscheinlich hatte er es vor zwei Jahren das letzte Mal gewaschen. Aber egal, Alkohol desinfisziert ja bekanntlich.

Es war super-spannend diesen temporären Mikrokosmos zu beobachten. Beim Nachtessen teilte jeder mit jedem. Danach wurden die Plätze gewechselt, und jeder redete ein bisschen mit jedem. Alt mit jung, hässlich mit schön, etc. Bei den Haltestellen sprangen die Männer auf und halfen den Frauen die schweren Taschen heraus zu tragen.

Die Nacht wurde dann allerdings ein wenig ungemütlich, da die ganze Zeit ein Geläuf von ein- und aussteigenden Passagieren einen ziemlich hohen Geräuschpegel verursachte. Nicht wirklich ausgeschlafen kam ich dann kurz vor 12:00 in "Krasnojarsk" an.

Ich wollte mein Gepäck bis am Abend bei der Gepäckaufbewahrung deponieren. Daraus wurde allerdings voerst nichts, denn ich sah gerade noch von weitem, wie die Türen der Gepäckaufbewahrung für die einstündige Mittagspause geschlossen wurden. Aber egal, ich benötige schlussendlich eine volle Stunde, bis ich mein Weiterreise-Ticket nach "Tomsk" gekauft hatte. Ich hätte wahrscheinlich noch länger gebraucht, wenn ich nicht zufällig den jungen Russen Yevgeniy kennengelernt hätte, der ein bisschen Englisch sprach und ebenfalls in seine Heimatstadt "Tomsk" reisen wollte. Trotz Hilfe konnte ich allerdings kein Ticket für den gleichen Abend kaufen. Ich musste mit der Weiterreise bis am Sonntagabend warten.

Nachdem ich dann meinen Rucksack doch noch bei der Gepäckaufbewahrung abgeben hatte können, ging ich zum Bahnhofsgasthaus, um mir von 21:00 bis 09:00 ein Bett zu reservieren. Wegen unserem Sprachproblem bekam die Frau an der Rezeption allerdings fast einen Herzinfarkt, und es dauerte eine halbe Stunde bis das Formular für die Reservation ausgefüllt war. Das Beste war dann noch, dass ich für die Reservation einen Aufschlag von 50% bezahlen musste... :-(

Aber ich konnte mich endlich auf den Weg machen, um die Stadt anschauen zu gehen. Es war grau, kalt und schneite zeitweise. Zu sehen gab's auch nicht all zu viel. Ich bezahlte einmal sogar RUB 40.00 (CHF 1.85) um mich in einem Museum ein bisschen aufwärmen und die Toilette benutzen zu können. Gegen 21:30 bezog ich dann mein Zimmer im Bahnhofsgasthaus. Von den vier Betten im Zimmer war noch keines belegt. Nachdem ich in den vergangenen Nächten nicht gerade sonderlich viel bzw. sonderlich gut geschlafen hatte, freute ich schon auf ein ruhige Nacht. Die Freude währte allerdings nur gerade zehn Minuten. Drei Russen bezogen die restlichen Betten. Ich weiss nicht, was ich getan hatte. Ich stellte mich nur kurz vor und setzte mich anschliessend wieder auf mein Bett. Die drei sibirischen Lastwagenfahrer hatten mich aber schon irgendwie in ihr Herz geschlossen. Ich "musste" mich zu ihnen setzen und grosszügig eingeschenkten Vodkagläser nach hinten kippen... ;-) Einer der drei Lstwagenfahrer kannte etwa 100 englische Worte. Ein anderer konnte zehn deutsche Worte. Der Dritte sprach nur Russisch. Zusammen mit meinen 20 russischen Worten, waren dies immerhin 130 Worte, was doch schon eine ganz ordentliche Diskussionsbasis war... ;-) Etwas, was aber alle drei sagen konnten, war: "Rascccchhhääään Tradisccchhhääään". Und jedesmal wenn sie es sagten, musste ich ein Glas Vodka leeren. Um 02:00 waren dann drei Liter Vodka alle. Sie sagten zu mir: "Moooor Rascccchhhääään Tradisccchhhääään". Ich musste meine Jacke anziehen (der Versuch schlafen zu gehen, war nicht wirklich erfolgreich gewesen), und wir fuhren mit dem Taxi irgendwo hin. Eine halbe Stunde später stand ich mit meinen neuen, sibirischen Lastwagenfahrerfreunden in einem russischen Sauna-Club und spielte mit ihnen im Adamskostüm Billiard und trank Bier... ;-) Sensationell... ;-) Um 04:00 standen wir dann wieder in der kalten Strasse. Meine Freunde hatten allerdings immer noch nicht genug. Eine neue Flasche Vodka musste in einem 24h-Shop organisiert werden. Danach gingen wir dann zu unserem Zimmer zurück. Wie ich dann am nächsten Morgen bemerkte, hatten sie noch zwei weitere Liter Vodka getrunken. Von dem hatte ich allerdings nichts mitbekommen, denn ich war ins Koma gefallen... ;-)

Am nächsten Morgen wurde ich unsanft von der Gasthausaufpasserin aufgeweckt. Ich hatte mein 12-stündiges Bettnutzungsrecht schon um zehn Minuten überzogen. Und dies obwohl ich dank Sommer-/Winterzeitumstellung eine Stunde Nutzungsdauer und Schlaf gewonnen hatte. Trotzdem fühlte ich mich aber, als wäre gerade ein sibirischer Lastwagen über mich hinweg gerollt. Eigentlich hatte ich vorgehabt, an diesem Sonntagmorgen zum nahegelegenen Nationalpark "Stolby" zu gehen. Ich hatte allerdings zwei gute Ausreden. Es war schon zu spät und der Schneefall war zu stark... ;-) Ich setzte mich stattdessen in die Wartehalle des Bahnhofs und wartete vier endlose Stunden, die ich nicht so schnell vergessen werde, auf meinen Zug.

Auch nicht so schnell vergessen werde ich die Fahrt nach "Tomsk". Neben mir lag ein alter Mann, der wahrscheinlich an "Asthma" litt. Er atmete schwer und stöhnte laut im Schlaf, so dass ich nur wenig zum schlafen kam. Noch besser war aber sein Enkel, der oberhalb von ihm schlief. Dieser war mit einer halbvollen Bierflasche in der Hand eingeschlafen. Und irgendwann liess er diese im Schlaf auf mich fallen... :-(

Gegen 08:00 kamen wir dann in "Tomsk" an. Da ich eine Nacht bleiben wollte, machte ich mich auf die Suche nach einem Bett. Ich ging zu einem Gasthaus, in welchem ich gemäss Guidebook ein günstiges Dorm-Bett hätte erhalten können. Der Eingang war in einem Innenhof und nicht angeschrieben. Ich fragte deshalb einen älteren Mann, der am Schnee schaufeln war. Der war so glücklich, dass ich ihn nach dem Weg fragte, dass er sich die Handschuhe auszog, sich mit Namen vorstellte, und mir schlussendlich den Weg zeigte. Vier Stockwerke weiter oben erlebte ich dann das extreme Gegenteil russischer Freundlichkeit. Ich hatte schon öfters gehört, dass man in "Russland" ohne Reservation kein Zimmer bekommt, auch wenn solche verfügbar wären. Ich bekam an der Rezeption nur ein unfreundliches "Njet" an die Ohren geworfen. Ich ging zum nächsten Hotel mit dem coolen Namen "Sputnik". Dort kostete mich ein Einzelzimmer ohne Bad zwar sage und schreibe RUB 700.00 (CHF 32.85, wahrscheinlich bis anhin mein teuerstes Zimmer auf dieser Reise). Dafür waren die Leute wieder sehr freundlich. Und sie sprachen sogar Englisch.

Ich machte mich später auf einen fünfstündigen Stadtrundgang bei Schneefall. Die Stadt war etwas schöner als "Krasnojarsk". Aber prinzipiell waren die Sehenswürdigkeiten wieder die gleichen. 2. WK-Denkmal, schöne Holzhäuser, Kirchen und ein obligater "Lenin"-Platz mit "Lenin"-Statue.

Yevgeniy, der mir in "Krasnojarsk" beim Kauf des Weiterreisetickets geholfen hatte, hatte mir seine Visitenkarte gegeben, und mich gefragt, ob ich etwas mit ihm trinken gehen wollte, wenn ich in "Tomsk" wäre. Um 20:00 holte er mich zusammen mit seiner Freundin im Hotel ab. In dieser Nacht war in "Tomsk" Museum-Freinacht. Verschiedene Museen hatte bis 24:00 geöffnet und boten spezielle Vorstellungen. Es hatte sehr viele Leute, und jeder zweite schien ein Hobbyfotograf zu sein. Etwas gewöhnungsbedürftig fand ich, dass sich viele dieser Hobbyfotografen ungefragt vor mich hinstellten und mich abblitzten. Von einer lokalen Fernsehstation wurde ich dann immerhin für ein Interview gefragt, was ich natürlich gewährte... ;-) Nach den Museen ging ich mit meinen zwar noch jungen, aber ganz reizenden Gastgebern noch was trinken.

Nachdem ich seit langem wieder einmal gut geschlafen hatte, ging die Reise am Dienstagmorgen nach "Novosibirsk" weiter. Wegen ungünstigen Zugverbindungen legte ich diese 300 Kilometer mit dem Bus zurück. Bevor ich in den Bus stieg, wollte ich meinen Rucksack in den Gepäckraum legen. Der Fahrer sagte aber zu mir: "Ticket". Ich zeigte ihm mein vorgängig gekauftes Busticket. Er aber schüttelte den Kopf. Es verging ein ganzes Weilchen, bis ich begriff, was nicht stimmte. Andere Passagiere hatten ein Personen- und ein separates Gepäckbeförderungsticket. Letzteres schien zusätzlich RUB 64.00 (CHF 3.00) zu kosten. Ich wollte mich schon auf den Weg zum Ticketschalter machen, als ich zurückgerufen wurde. Jemand flüsterte mir "Fifty" zu und deutete mit dem Kopf auf den Chauffeur. Als ich dem Chauffeur RUB 50.00 (CHF 2.35) zugesteckt hatte, durfte mein Rucksack den Gepäckraum und ich meinen Sitz in Anspruch nehmen. Ich bin froh, dass dies in "Russland" meine einzige, längere Busfahrt war, denn da scheint nichts mit rechten Dingen bzw. alles unter der Hand zuzugehen.

In "Novosnibirsk" gab es dann wieder das alte Lied. Eine Stunde am Bahnhof, bis das Weiterreiseticket organisiert war. Danach machte ich einen kleinen Stadtrundgang. Das Schönste an der Stadt waren allerdings die wunderschönen Frauen. Meinen Schuhen/Füssen war dieser Rundgang allerdings wenig bekömmlich, weil ich vor lauter weiblicher Ablenkung des öfteren in eine tiefe Schneematschpfütze trat... ;-)

Mein Zug fuhr erst um 21:42. Deshalb ging ich am frühen Abend noch in ein Internet Café. Das Café hatte allerdings das kundenunfreundlichste Preissystem, welches ich bis anhin gesehen hatte. Man musste sich nämlich im voraus entscheiden, wieviel Zeit und wieviel Megabyte man benutzen wollte. Das war mir zu dumm, weshalb ich nicht allzu lange blieb. Ich verbrachte die restliche Zeit damit, in der Wartehalle einer moslemischen Grossfamilie zu zu schauen, wie sie ihr Nachtlager in der Wartehalle einrichteten.

Irgendwie hatte ich mich mit der Abfahrtzeit meines Zuges vertan, denn plötzlich hatte ich nur noch fünf Minuten bis zur Abfahrt meines Zuges. Und ich wusste noch nicht einmal auf welchem Geleise mein Zug abfahren würde. Dummerweise standen dann auf der Anzeigetafel so viele Zahlen, dass ich die Plattformnummer nicht ausmachen konnte. Und vergiss es auf gut Glück in einem russischen Bahnhof auf jemanden mit Englischkenntnissen zu stossen. Die Wahrscheinlichkeit ist wahrscheinlich fast gleich klein wie ein 6er im Lotto. Ich spurtete deshalb los. Die dritte Plattform war dann die richtige. Allerdings waren die Zugtüren schon alle geschlossen. Zu meinem Glück stand hinter einer der Zugtüren eine rauchende Provodnista, welche die Abfahrt des Zuges verhinderte und mich auf den Zug springen liess. Kaum hatte sie hinter mir die Tür wieder die Tür geschlossen, fuhr der Zug los. Ich hatte mich noch nicht fertig eingerichtet, als zwei Polizisten durch den Wagen liefen. Sie beachteten mich allerdings nicht. Fünf Minuten später kamen sie zurück, liefen zielstrebig auf meinen Platz zu und schauten sich fragend um (ich sass zu diesem Zeitpunkt auf einem anderen Platz). Es war unschwer zu erkennen, dass sie aufgrund der Passagierliste (man kann in "Russland" ohne Pass kein Zugticket kaufen) mich für eine Spezialkontrolle herausgesucht hatten. Meine Papiere waren aber in bester Ordnung (ich hatte alle Quittungen von Gasthäusern sowie Zug- und Bustickets sorgfältig aufbewahrt), und ich wurde bald wieder in Ruhe gelassen.

1 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

In Russland scheint der Bär ja richtig zu tanzen! Eieiei das wird aber langweilig in der guten alten Schweiz ;)

Gruss

Eggi