Freitag, 1. Juni 2007

Bericht 073 (24.05.07 bis 28.05.07)

Links zu den aktuellen Foto-Sets:

Am Donnerstagmorgen um 07:30 startete unsere fünftägige "Land Cruiser"-Tour von "Lhasa" bis zur tibetisch, nepalesischen Grenze bei "Zhangmu". Diese Strecke wird auch "Friendship Highway" genannt. Allerdings darf man das Wort "Highway" nicht all zu wörtlich nehmen, denn es handelt sich um eine zweispurige Strasse, welche zum Zeitpunkt meiner Durchreise ca. zu 60% geteert war. Die Chinesen werden aber aus verschiedenen Gründen viel daran setzen, diese Prozentzahl in naher Zukunft auf 100% zu erhöhen.

Wir hatten unseren Fahrer und unseren Guide schon am Vorabend kurz kennengelernt, um ein paar Details zu besprechen. Wir, das belgische Pärchen Katrin und Peter und ich, dachten, dass wir ein wenig Glück gehabt hätten, da beide erstens Tibeter waren und zweitens zumindest der Guide ein wenig Englisch sprach. Allerdings war der Guide erst 22 Jahre alt, und wahrscheinlich nicht sonderlich erfahren.

Naja, die gute Vorahnung erwies sehr schnell als eine grosse Seifenblase, welche schon platzte, bevor wir auch nur einen einzigen Meter gefahren waren. Der Guide wollte sich frech auf den Beifahrersitz setzen. Das hätte mir gerade noch gefehlt. Wir bezahlen viel Geld für einen Guide, den wir weder wollten noch benötigten. Und dieser Guide wollte sich den besten Platz mit der besten Sicht im Auto nehmen. Ich setzte ihn in die Mitte auf den Rücksitz, und hatte es damit mit ihm schon verspielt.

Dann konnte es aber losgehen. Wir fuhren über den südlich von "Lhasa" gelegenen Pass "Kamba-la". Von der Passhöhe (4'794 M.ü.M.) hatte man eine herrliche Aussicht auf den dunkelblauen "Yamdrok-tso See". Danach ging die Fahrt weiter nach "Gyantse", wo wir schon am frühen Nachmittag ankamen. Nachdem wir uns in einem Gasthaus einquartiert hatten, gingen wir zu dem berühmten Kloster "Pelkor Chöde". Der Guide war natürlich mit von der Partie, um uns etwas über das Kloster zu erzählen. Denn für dies hatten wir ja schliesslich auch einen Guide bezahlt. So dachten wir zumindest. Er nuschelte allerdings während seinen Erklärungen im ersten Tempel nur leise vor sich hin, sodass wir nur etwa die Hälfte davon verstanden. Bei heiklen Fragen (Politik oder Geschichte) erzählte er entweder die Unwahrheit oder umging die Frage. Damit war klar, woher der Wind bliess. Der Guide hatte eine Schule besucht und eine offizielle, chinesische Guide-Lizenz erworben. Wahrscheinlich war er von den Chinesen dermassen indoktriniert worden, dass er selber nicht mehr genau wusste, was die tibetische und was die von den Chinesen gewünschte Wahrheit war. Nach dem Tempelbesuch sollten wir eigentlich die berühmte Stupa "Gyanste Kumbum" besichtigen. Er meinte allerdings, dass er zu müde wäre die vierstöckige Stupa zu besteigen, und dass wir sie alleine besichtigen sollten. Mir verschlug es fast die Sprache. Der Guide war damit für mich abgeschrieben. Eine weitere, traurige Geschichte von einem von den Chinesen durch und durch versauten Tibeter.

Um im Verlauf dieses Berichtes nicht noch mehrmals auf dieses Thema zurückkommen zu müssen, beschreibe ich hier kurz, was wir mit unserem Guide und Fahrer sonst noch erlebt hatten. Ab dem zweiten Tag mussten wir froh sein, wenn uns unser Guide pro Tag auf ein paar einfache Fragen jeweils eine Antwort gab. Ansonsten versuchten der Fahrer und der Guide uns um Teile der vereinbarten und bezahlten Leistungen zu betrügen. So wollten sie uns z.B. in "New Tingri" anstelle von "Tingri" übernachten lassen, um ein paar Liter Benzin zu sparen. Oder sie wollten uns schon nach vier Tagen anstelle nach den gebuchten fünf Tagen an der nepalesischen Grenze wegen angeblichen Strassensperren absetzen. Kurz und gut: So etwas hatte ich auf meiner ganzen Reise noch nie erlebt. Mir mussten die ganze Zeit auf der Hut sein, um nicht über den Tisch gezogen zu werden. Unsere Informationen über die Sehenswürdigkeiten und über die gefahrene Strecke mussten wir trotz bezahltem Guide aus unseren Guidebooks beziehen. Und das Schlimmste war, dass wir nichts dagegen tun konnten... :-(

Wie auch immer, am zweiten Tag ging die Fahrt nach "Shigatse" weiter. Auf dem Weg machten wir noch einen kurzen Stop im interessanten Dorf "Shalu" mit dem gleichnamigen Kloster. Auch in "Shigatse" gab es hauptsächlich wieder ein berühmtes, tibetisches Kloster ("Tashilhunpo") zu besichtigen. Vor allem interessant war wieder die vielen farbenfrohen, aber leider kamerascheuen, Pilger zu beobachten. Ansonsten war die zweitgrösste Stadt in "Tibet" eine ziemliche Enttäuschung. Die Chinesen hatten nicht viel vom ursprünglichen "Shigatse" übrig gelassen. Wo man hinschaute, waren die interessanten, tibetischen Häuser durch hässliche, chinesische Betonbauten ersetzt worden. Von einem Aussichtspunkt hatte man fast ein wenig das Gefühl, in einer dieser trostlosen, russischen Retortenstädte gelandet zu sein.

Am dritten Tag hatten wir eine lange Fahrt vor uns. Wir fuhren von "Shigatse" nach "Tingri". Auf dem Weg passierten wir zuerst den 4'950 Meter hohen Pass "Trupa-la", bevor wir wir das letzte tibetische, fortähnliche Kloster "Sakya" dieser Reise besuchten. Danach fuhren über den mit 5'220 Meter höchsten Pass ("Gyatso-la"). Ich muss an dieser Stelle vielleicht einmal erwähnen, dass dieser Trip vor allem wegen der Landschaft so schön ist. Da bekommt man die unglaublichsten Berglandschaften des "Himalaya"-Gebirges zu Gesicht. Zwar ist ein grosser Teil der Landschaft nur steinig, trocken und ohne grosse Vegetation. Aber die Höhe der Gebirgszüge, die z.T. schneebedeckten Gipfel in der Ferne, die verschiedenenfarbigen Steinschichten, die interessanten, tibetischen Dörfer mit ihren Einwohnern sowie der zu dieser Jahreszeit meist wolkenlose, blaue Himmel machen diese Fahrt zu einem Augenschmaus.

Am späteren Nachmittag kamen wir dann in "Tingri" an, von wo wir einen herrlichen Blick auf den "Mount Everest" hatten. Am Morgen des vierten Tages fuhren wir mit den ersten Sonnenstrahlen von "Tingri" in Richtung "Rongphu", welches nur gerade acht Kilometer vom "Mount Everest Base Camp" entfernt liegt. Die Fahrt führte durch eine öde, aber wunderschöne, fast unbesiedelte Gegend, meistens auf über 5'000 M.ü.M.. Von "Rongphu" liefen wir die restlichen acht Kilometer bis zum Camp. Wir hatten extremes Glück, denn der Himmel war blau und ohne Wolken. Ausserdem war der Gipfel des "Mount Everest" ebenfalls nicht in Wolken gehüllt, was angeblich nicht so oft der Fall sein soll.

Der Marsch zum "Mount Everest Base Camp (EBC)" auf 5'200 M.ü.M. mit klarer Sicht auf die Nordwand ("The North Face") des höchsten Berges der Welt (8'848 M.ü.M.) und den entgegen kommenden Yak-Karawanen war definitiv ein Höhepunkt meiner bisherigen Reise. Fantastisch und extrem eindrücklich so am Fusse dieses Berges zu stehen.

Das "Base Camp" selber war ein wenig enttäuschend. Eine grosse, chinesische Flagge, das chinesische Militär, ein Schild, welches anzeigte, dass "China Mobile" auch an diesem Ort für Handy-Empfang gesorgt hatte, ein paar Steinhäuser und ein Markstein mit dem tibetisch, chinesischen Namen "Mount Qomolangma" (= Mount Everest) war alles. Hinter dem nächsten Hügel entdeckten wir dann aber noch zwei richtige "Expedition Camps". Wie ich dann später in der "NNZ Online" gelesen habe, war die Zeit unseres Besuches auch die beste Zeit den Berg zu besteigen. Und dieses Jahr wurde mit der Anzahl der erfolgreichen Gipfelstürmer ein neuer Rekord aufgestellt.

Auf dieser fünftägigen Fahrt habe ich fünf der vierzehn Achttausender gesehen. Es sind dies:

Die Lage dieser fünf Achttausender habe ich natürlich wieder auf meiner Karte (siehe gelbe Marker) gekennzeichnet.

Am fünften Tag führte die Reise vom "Base Camp" zur nepalesischen Grenze bei "Zhangmu", wobei wir wieder zwei 5'000er-Pässe ("La Lung-la [5'124] und "Tong-la" [5'120]) überquerten. Auf den den letzten 30 Kilometern führte die Schotterstrasse von ca. 4'500 M.ü.M. durch ein enges Tal auf ca. 2'000 M.ü.M.. Die Strasse war eine einzige Baustelle, weil die Chinesen daran waren, dieses Teilstück ebenfalls zu teeren. Die Ergebnisse von Felsstürzen und Sprengungen lagen des öfteren auf der Strasse, so dass wir jeweils warten mussten bis die Arbeiter die Strasse wieder frei gemacht hatten. Zu sehen, unter welch gefährlichen und ungesicherten Bedingungen die chinesischen und tibetischen Bauarbeiter arbeiten mussten, so wie der gefährliche Zustand, in welchem die Strasse für den Verkehr geöffnet war, liess mir den Adrenalinspiegel fast höher steigen als bei meinem "Mountain Bike Downhill Trip" auf der gefährlichsten Strasse der Welt in "Bolivien". Wir kamen aber wohlbehalten in "Zhangmu" an und machten uns zu Fuss direkt auf den Weg in Richtung "Nepal". Beim chinesischen Zoll durften wir wieder ein paar Formulare ausfüllen (inkl. ein Formular über unseren Gesundheitszustand). Danach fuhren wir mit einem Minibus acht Kilometer über eine extrem staubige Strasse im Niemandsland zwischen "Tibet" und "Nepal" bis wir die "Friendship Bridge" erreichten und plötzlich in einer ganz anderen Welt standen. Dazu aber mehr in meinem nächsten Bericht...

Damit ist es wieder einmal an der Zeit ein kleines Fazit über ein Land, bzw. in diesem Fall zwei Länder, zu ziehen. Ich möchte allerdings nicht all zu viel über das Thema "China"/"Tibet" schreiben, denn die Details können an anderer Stelle nachgelesen werden. Eine kurze, einfache Zusammenfassung der tibetischen Geschichte bietet z.B. "Wikipedia". Ausserdem gibt es auch Dutzende gute Sachbücher über "Tibet". Und viele Organisationen, welche sich für ein freies "Tibet" einsetzen, bieten auf ihren Web-Seiten zahlreiche Informationen (siehe dazu auch die Links in meiner Link-Sammlung).

Fakt ist, dass die Chinesen "Tibet" 1950 illegal annektiert hatten und in den Folgejahren über eine Million tote Tibeter zurückliessen. Ausserdem wurde ab dem Jahr 1966 in der sog. "Kulturrevolution" ein Grossteil der tibetisch, buddhistischen Kulturgüter durch die "Rote Garde" systematisch zerstört. Das tibetische Staats- und Religionsoberhaupt, der "Dalai Lama", musste während dem ersten grossen Aufstand (1959) nach "Indien" ("Dharamsala") fliehen und führt seit dann von dort aus eine tibetische Exilregierung. Sein Ziel ist eine friedliche Lösung des "Tibet"-Problem. Für diese Bemühungen erhielt er 1989 den Friedensnobelpreis.

Seit den 80er Jahren haben die Chinesen begonnen die Migration von Han-Chinesen auf das tibetische Hochplateau durch Subventionen gezielt zu fördern. Ziel dieser Bemühungen ist ganz offensichtlich die tibetische Identität, Kultur und Religion durch einen endlosen, chinesischen Migrationsstrom zu untergraben und so die Tibeter langfristig in ihrem eigenen Land zu einer Minderheit zu degenerieren. Schon heute hat man das Gefühl, wenn man durch die beiden grössten, tibetischen Städte ("Lhasa" und "Shigatse") läuft, dass diese vorwiegend von Chinesen bewohnt werden, und dass die Tibeter vornehmlich noch als Pilger durch diese Städte laufen.

"China" war noch nie bekannt dafür, dass es die fundamentalen Menschenrechte garantieren würde. Freie Meinungsäusserung oder Religionsfreiheit sind z.B. in "Tibet" nicht gewährleistet. Und der repressive Überwachungsapparat ist in Form von uniformierter und ziviler Polizei sowie Militär überall präsent. Auch in abgelegenen Dörfern auf 4'800 M.ü.M. sieht man einen neuen, chinesischen Polizeiwagen irgend etwas oder irgend jemanden kontrollieren. Auch hat sich z.B. die chinesische Polizei in jedem tibetischen Kloster einquartiert und kontrolliert mit wem die Mönche kommunizieren bzw. welche Schriften sie lesen. Besonders schlimm ist die Polizeipräsenz in "Lhasa's" altem, tibetischen Quartier. Lächerlich aussehende Polizeikolonnen (zu kurze Uniformhosen, weisse Socken, Turnschuhe, gerötete Wangen und schlecht sitzende Krawatten sind nur ein paar Stichworte), welche tibetische Pilger und Mönche schikanieren, können überall beobachtet werden.

Für Leute aus dem Westen ist es fast schon amüsant zu sehen, auf welch lächerliche Weise die Chinesen versuchen, den Tibetern und den Touristen ihre verdrehte Sicht der Dinge darzustellen. Für ausländische Touristen ist es kein Problem, sich vorgängig zu einem Besuch in "Tibet" mit Hilfe von unabhängiger Literatur ein eigenes Bild zu machen. Tibeter haben allerdings keinen Zugang zu unabhängiger Literatur. Den Kindern wird in der Schule die chinesische Sicht der Dinge eingetrichtert. Und dies natürlich in der chinesische Sprache, denn die tibetische Sprache wird heutzutage in der Schule nur noch als Zweitssprache unterrichtet.

Das sich in absehbarer Zukunft eine Lösung für das "Tibet"-Problem finden lässt, ist leider sehr unwahrscheinlich. Da ist zum einen die Arroganz der Chinesen, die Feigheit westlicher Länder dieses Thema im UN-Sicherheitsrat zu diskutieren sowie die territorialen und finanziellen Interessen der Chinesen an "Tibet". Nur zwei kleine Beispiele. "China" baut in grossem Stile Mineralien in "Tibet" ab, um das chinesische Wirtschaftswachstum zu unterstützen. Auf der anderen Seite werden aber die radioaktiven Abfälle aus "China" in "Tibet" gelagert.

"Tibet" ist ein tolles Reiseland mit viel Kultur, uralten, historischen Bauten und wunderschönen Bergen. Was die Chinesen allerdings damit gemacht haben bzw. noch machen werden, ist gotterbärmlich. Meine Fotos zeigen vorwiegend das "tibetische Tibet" und die "Himalaya"-Berge. Dies ist allerdings nur der eine, der schöne Teil von "Tibet". Um den anderen Teil zu fotografieren, war mir allerdings der Speicherplatz zu schade.

Ach, noch was. "Tibet" liegt zwei Zeitzonen westlich von "Peking". Da aber ganz "China" nach "Peking"-Zeit läuft, steht in "Lhasa" die Sonne erst um 14:00 im Zenit. Sowas bringen nur die Chinesen fertig... :-(