Mittwoch, 7. November 2007

Bericht 097 (31.10.07 bis 06.11.07)

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Nachdem ich das erste Mal gut in einem russischen Zug geschlafen hatte, kam ich um 07:00 von "Novosibirsk" kommend in "Omsk" an. Auch hier gab es wieder das übliche Spiel. Gepäck verwahren, Ticket für die Weiterreise am Abend kaufen und anschliessend die Stadt anschauen gehen. Es war wieder kalt und windig. Es gab ein paar schöne Kirchen, die obligate "Lenin"-Statue, ein Theater und ein paar andere schöne Häuser zum anschauen. Am frühen Nachmittag hatte ich genug und setzte mich in eine Bar, wo ich Bericht 096 schrieb. Leider ging meine Reise allerdings erst gegen 23:00 weiter.

Auch die Fahrt nach "Jekaterinburg" verlief unspektakulär und ich kam gegen 12:00 wieder ordentlich ausgeschlafen an. Diesmal musste ich mir allerdings nicht gerade ein Weiterreise-Ticket organisieren. Ich hatte vor zwei oder drei Nächte in der Stadt zu bleiben. Weil es in "Jekaterinburg" aber keine bzw. nur ganz wenige Budget-Unterkünfte gibt, hatte ich eine andere Bleibe organisiert.

Im Internet gibt es den "Hospitality Club (HC)". Registrierte Benutzer bieten sich gegenseitig gratis eine Übernachtungsmöglichkeit, einen geführten Stadtrundgang oder ähnliches an. Zur Sicherheit der Benutzer wird jede Registrierung (inkl. Passnummer) manuell überprüft, und die Benutzer bewerten sich gegenseitig. Ich hatte in den grossen, teuren Städten "Asiens" auf diese Weise schon das eine oder andere Mal versucht, eine günstige Übernachtungsmöglichkeit zu finden. Das hatte aber nie richtig hingehauen.

Ganz anders war dies aber in "Russland". Zwei Tage vor meiner Ankunft in "Jekaterinburg (Eburg)" hatte ich an vier "HC"-Mitglieder aus "Eburg" eine Email geschrieben und betreffend einer Übernachtungsmöglichkeit angefragt. Unglaublich aber wahr, am nächsten Tag hatte ich drei Einladungen in meinem Email-Posteingang. Ich entschied mich für die Einladung des 42-jährigen Sergey (Benutzername: action), der auf seiner Benutzerseite neben Übernachtungsmöglichkeiten auch Ausflugsinformation über die Umgebung von "Eburg" versprach.

Bevor ich mich aber mit Sergey traf, machte ich bei herrlich, blauem Himmel einen Stadtrundgang durch "Jekaterinburg", wo ich unter anderem die Stelle, bei der die russische Zarenfamilie "Romanow" von den "Bolschewiki" am 16.07.1918 ermordet worden war. Heute steht an dieser Stelle die die neue, byzantinische Kirche "Church of the Blood" mit einem riesigen, goldenen Dom.

Gegen Abend ging ich dann zum Büro von Sergey. Er ist selbständig und betreibt eine Handelsplattform. Da zur Zeit gerade Schulferienzeit war, hatte er neben seiner Sekretärin auch noch die Hilfe von seinem 14-jährigen Sohn Sascha im Büro. Nach ein bisschen Warten fuhren wir zur Wohnung. Das war eine 2-Zimmer-Wohnung im Sowjet-Stil. Etwas speziell. Wie auch immer, im Verlauf des Abends kam dann auch noch Sergey's zweiter Sohn, der13-jähriger Kostya, und seine 27-jährige Freundin Svetlana nach Hause. Bei Kerzenschein schauten wir dann auf dem Computer Ferienfotos der Familie an. Geschlafen habe ich dann im Zimmer der Jungs auf ein paar Matten.

Schon am Vorabend hatte Sergey einmal nebenbei angetönt, dass die Familie über das Wochenende einen Ausflug in den südlichen "Ural" machen würde. Am Freitagmorgen fragte er mich dann, ob ich mich nun entschieden hätte mitzukommen. Häähhh... er hatte mich gar nie danach gefragt... ;-) Aber egal, ich brauchte nicht lange zu überlegen um zu zu sagen. Am Freitagabend um 19:00 sollte die 6-stündige Fahrt beginnen. Genügend Zeit um noch einmal ins Zentrum von "Jekaterinburg" zu gehen und ein Weiterreise-Ticket für den kommenden Montagabend zu organisieren.

Schlussendlich fuhren wir dann abends um 22:00 los und kamen am Samstagmorgen nach einer ziemlich ungemütlichen Fahrt um 05:00 an unserem Ziel an. Das Ziel war die russische Ferienanlage "Tourist Base Malinovka" von Sergey's Bruder im "Ural" etwa 15 km von der Stadt "Beloretsk" entfernt. Die Ferienanlage bestand aus zwei grossen, russischen Holzhäusern. Jedes Haus bot ein paar Zimmer sowie Gemeinschaftswaschraum, -küche und -wohnzimmer mit Kamin. Für die nicht zahlenden Gäste gab es dann noch ein kleines Gartenhaus mit ein paar Betten, wo wir uns einquartierten.

Nach ein paar Stunden Schlaf machten Svetlana, Sergey und ich uns auf, um in den umliegenden "Ural"-Bergen (für mich waren dies allerdings eher etwas grössere Hügel) wandern zu gehen. Schlussendlich erstiegen wir den kleinen (913 m.ü.M.), mittleren (986 m.ü.M.) und grossen (1'156 m.ü.M.) "Malinovka" und überquerten dafür barfüssig eisige Flüsse. (Kein Problem für Svetlana, denn sie wurde von Sergey über die Flüsse getragen.)

Das Abendessen kochte ich. Allerdings musste ich ziemlich Gas geben (nicht so einfach, denn russische Kartoffeln bekommt man einfach nicht weich), weil alle so bald als möglich ins "Banya" (russische Sauna) wollten, welches schon Betriebstemperatur hatte. Das war wieder ein Super-Erlebnis. Eine russische Sauna ist einiges heisser als z.B. eine finnische Sauna. Zusätzlich nehmen die Russen Birken- und Tannenzweige (jeweils mit getrockneten Blättern bzw. grünen Nadeln) mit in die Sauna. Die Zweige werden zuerst ins kalte Wasser und danach über die heissen Steine gehalten. Mit den so behandelten Zweigen schlagen sich die Russen dann entweder selber oder gegenseitig auf den Rücken, Brust, Beine und die Fusssohlen. Angeblich soll's gut für die Muskeln sein. Naja, Russen sind sind schon ein bisschen sado-masochistisch veranlagt... ;-) Aber der von den Zweigen verbreitete Duft roch auf jeden Fall sehr gut. Nach zehn Minuten war dann Zeit für die Abkühlung. Dazu liefen wir nackt und barfüssig 50 Meter durch die kalte Nacht zum nahe gelegenen Fluss, wo wir über eine kleine Leiter in ein Eisloch steigen konnten. Brrrrrr... ;-) Das ganze wiederholten wir fünfmal. Dann war es Zeit sich vor das Kamin zu setzen, Vodka und Bier zu trinken und den Klängen von ein paar russischen Liedern, welche Sergey auf einer Gitarre zum Besten gab, zu lauschen. Super... :-)

Am Sonntag hätten wir eigentlich den nächsten Berg besteigen wollen. Aber in der Nacht war im "Ural" der erste Schnee gefallen, und der Himmel war grau behangen. Stattdessen machten wir einen kleinen Reitausflug. Am späteren Nachmittag fuhren wir dann in die Stadt "Beloretsk". Sergey wollte einen alten Freund (Vadim Stroikin) besuchen, welcher am Stadtrand ein kleines Hotel (Hotel Parus) leitet. Es ging nicht lange, da sassen wir vor dem Feuer des Hotelkamins, tranken Tee, assen Schokolade und lauschten den selbst komponierten Liedern, welche Vadim zum Besten gab. Als wir uns später wieder verabschiedeten, schenkte er mir sogar noch zwei seiner CDs. Unglaubliches "Russland"... :-)

Am Abend war ein Freund der Familie mit seiner eigenen Familie im "Tourist Base" angekommen. Dieser Freund nannte sich selber Ural. Er war nicht nur extrem dick, sondern schien auch sehr wohlhabend zu sein, denn er bestellte alles ess- und trinkbare, was das Gasthaus zu bieten hatte. Ich musste/durfte mich neben ihn setzen. Allerdings "musste" ich dann auch das Gleiche essen und trinken wie er. Und dies wurde dann irgendwann vor allem bei der nicht gerade unerheblichen Vodka-Menge ein kleineres Problem... ;-) An diesem Abend war es die umgekehrte Reihenfolge. Zuerst Vodka, und danach Banya. Gegen 22:30 machten sich dann ein sturzbetrunkener Schweizer und 11 alkoholisierte Russen auf den Weg ins Banya. Ich weiss nicht genau, welche Reihenfolge die bessere ist. Auf jeden Fall kam mir das Eiswasser an diesem Abend nicht mehr so kalt vor... ;-) Nach dem "Banya" ging das Gelage dann weiter. Sie endete für mich irgendwann nach 03:00, als ich trotz Gegröle vor dem Kamin einschlief.

Am Montagmorgen machten wir uns um 09:00 wieder auf den Heimweg. Die fast 7-stündige Fahrt zurück nach "Jekaterinburg" war wegen den Folgen dieser russischen, durchsichtigen Flüssigkeit etwas hart... :-(

Um 22:25 des gleichen Tages fuhr mein Zug nach "Kasan". Mein Abteil enthielt eine Frau und vier Männer, wovon drei lustigerweise Andrej hiessen. Irgendwo etwa 20 km ausserhalb von "Jekaterinburg" überquerte ich die Asien-Europa-Grenze. Namensvetter hin oder her, einer der drei Andrejs hatte um 03:00 das Gefühl, dass er rauchen gehen müsste. Beim Aufstehen kippte er im Dunkeln eine halbvolle Bierflasche um. Und natürlich war ich wieder einmal der Leidtragende... :-(

Um 12:00 kam ich in "Kasan" an. Rucksack verwahren und Ticket für die Nachtfahrt nach "Moskau" besorgen, und dann konnte ich wieder einmal bei -5° Celsius und Schneefall einen Stadtrundgang machen. "Kasan" ist die Hauptstadt der teilautonomen Republik "Tatarstan". Sie ist bekannt für die zahlreichen Moscheen und den Kreml, welcher im Jahr 2000 in die Liste der "UNESCO"-Weltkulturerben aufgenommen worden ist. Gegen 16:30 setzte ich mich mich in ein Café, um mich ein wenig aufzuwärmen. 45 Minuten später, als ich wieder in die Strasse trat, traute ich meinen Augen fast nicht. Es war unterdessen schon fast stockdunkel und die Strassen fast menschenleer. Nachdem ich mich im Café noch einmal versichert hatte, dass ich bei der Ankunft in "Kasan" die richtige Uhrzeit eingestellt hatte, blieb mir nicht viel anderes übrig, als mich auf die Suche nach einem Internet Café zu machen. Man glaub es kaum, aber ich fand eines, welches für nur gerade RUB 26.40 (CHF 1.20) unbegrenzten Internet-Zugang gewährte. Eine Sensation für russische Verhältnisse.

Der Zug nach "Moskau" fuhr um 22:25 los. Der Zug war nur gerade zu etwa 30% gefühlt. Ich verbrachte wieder einmal eine geruhsame Nacht, in welcher ich auch kein unfreiwilliges Bierbad nehmen musste... :-)